Krieg in Syrien Das Bündnis zwischen der Türkei und Russland kriselt

Istanbul · Die Gefechte in der syrischen Provinz Idlib zeigen Sollbruchstellen des Bündnisses von Türkei und Russland. Sollte die Allianz brechen, könnte das weitreichende Folgen haben.

 Ein türkischer Militärkonvoi fährt über eine Straße in Idlib.

Ein türkischer Militärkonvoi fährt über eine Straße in Idlib.

Foto: dpa/Ghaith Alsayed

Warnung auf Warnung schickt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan derzeit nach Damaskus. Wenn sich die syrische Armee nicht bis Ende des Monats aus bestimmten Teilen der Provinz Idlib zurückgezogen habe, werde die Türkei militärisch für den Abzug sorgen, sagte Erdogan nach einem Feuergefecht zwischen Türken und Syrern nahe der Kleinstadt Sarakib vor einigen Tagen. Die Truppen des syrischen Präsidenten und Erdogan-Gegenspielers Baschar al-Assad antworteten auf ihre Weise – sie rückten trotz Erdogans Ultimatum weiter vor und nahmen jetzt Sarakib ein.

Die Spannungen eskalieren nicht zuletzt deshalb, weil das Bündnis zwischen Türkei und dem syrischen Schutzherrn Russland nicht mehr richtig funktioniert. Risse in der Allianz könnten weitreichende Folgen für Ankara, Moskau und Damaskus haben.Noch betont Erdogan, die Türkei wolle keine Konfrontation mit Russland in Idlib. Russland will an diesem Samstag eine Delegation in die Türkei schicken, um den Streit zu entschärfen. Zwar könnte eine Waffenruhe zwischen der Türkei und Syrien in Idlib unter Vermittlung Russlands vorübergehend für Ruhe sorgen, aber eine langfristige Lösung sei nicht in Sicht, sagte Orhan Gafarli von der türkischen Denkfabrik Ankara Policy Center unserer Zeitung in Istanbul.

Seit Jahren arbeiten die Türkei und Russland trotz gegensätzlicher Interessen in Syrien eng zusammen. Erdogan unterstützt Rebellen, die gegen Assad kämpfen, während Wladimir Putin den syrischen Präsidenten unterstützt. Bisher haben Erdogan und Putin ihre Differenzen in den Hintergrund rücken können. Das nützte beiden Seiten. Die Türkei erhielt grünes Licht aus Moskau für mehrere Militärinterventionen in Syrien zur Bekämpfung kurdischer Milizionäre. Russland bekam dadurch großen Einfluss auf das Nato-Mitglied Türkei und konnte Ankara aus seiner traditionellen Westbindung lösen.

Truppenvorstoß ohne Absprache mit Moskau

Doch in Idlib, der letzten Bastion syrischer Regierungsgegner nach fast neun Jahren Krieg, stößt dieses Modell an seine Grenzen. Ohne Absprache mit Moskau schickte Erdogan am vergangenen Wochenende starke Truppenverbände nach Idlib, um dort die syrische Regierungsoffensive gegen die Rebellen zu stoppen. Der syrische Vormarsch hat eine halbe Million Menschen in Idlib vertrieben. Sie suchen Schutz an der geschlossenen Grenze zur Türkei. Erdogan befürchtet einen neuen Massenansturm von Syrern auf sein Land, das bereits 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat.

Assad hat geschworen, Idlib einzunehmen, und wird von der russischen Luftwaffe unterstützt. Damaskus und Moskau werfen Ankara vor, Dschihadisten in Idlib nicht bekämpft zu haben, obwohl die Türkei das versprochen hatte. Die Provinz wird größtenteils von der Al-Kaida-nahen Miliz HTS beherrscht.

In Idlib können die Regierungen in Ankara und Moskau ihre Differenzen nicht ignorieren. Erdogan und Putin könnten versuchen, ihr gutes persönliches Verhältnis zu nutzen, um einen Ausweg zu finden. Doch Gönül Tol, Türkei-Expertin am Nahost-Institut in Washington, vermutet, dass Erdogan viel zu sehr auf seine Freundschaft mit Putin setzt. Für Russland sei die Türkei lange ein wichtiger Partner gewesen, um ein Gegengewicht gegen die US-Präsenz in Syrien zu schaffen, schrieb Tol in einer Analyse für ihr Institut. Nach dem Beginn des US-Abzuges habe Russland nun jedoch keinen Grund mehr, auf die Türkei groß Rücksicht zu nehmen.

Ein schweres Zerwürfnis im türkisch-russischen Bündnis oder gar ein vollständiger Bruch der Allianz würde den Krieg in Syrien wahrscheinlich noch weiter eskalieren lassen.

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