US-Wahlkampf Das ist der Mann, der Trump schlagen soll

Washington · Joe Biden wäre 78 Jahre alt, würde er nach gewonnener Wahl im Weißen Haus einziehen. Die Altersfrage kann sich noch als seine Achillesferse erweisen. Aber es mangelt auch nicht an Wählern, die sich nach den Trump-Jahren wieder eine weniger turbulente Zeit wünschen.

 Joe Biden bei einer Rede in New Hampshire.

Joe Biden bei einer Rede in New Hampshire.

Foto: AP

Am alten Finnegan führt auch diesmal kein Weg vorbei. Der alte Finnegan, sagt Joe Biden, wanderte ja nicht deshalb nach Amerika aus, weil er Spaß haben wollte. „Er kam, um zu arbeiten. Er wusste, es wird hart, es wird Rückschläge geben.“ So wie sein Urgroßvater Owen Finnegan, 1849 den Hungersnöten Irlands entflohen, in der neuen Heimat angepackt habe, kämen heute Migranten aus Mittelamerika, auf der Suche nach einem besseren Leben, ohne von irgendwem Geschenke zu erwarten. „Gib dem Neuen eine Chance. Das ist es doch, was uns ausmacht.“

Biden läuft durch die Basketballhalle des Clinton College, einer Hochschule in Rock Hill, einer Stadt in South Carolina, durch schmale Gänge zwischen voll besetzten Klappstuhlreihen. Eine Rede, die er zu Beginn gehalten hat, nach dem obligatorischen Gebet, beschränkte sich aufs Allernotwendigste. Nun hat er das Pult verlassen, damit er auf Leute zugehen kann, die ihm Fragen stellen. Er sieht ihnen direkt in die Augen, manchmal fasst er sie an den Schultern, er sucht physische Nähe. Und Fragen beantwortet er, indem er Anekdoten zum Besten gibt, bevor er den Bogen zur großen Politik schlägt. Uncle Joe, der Geschichtenerzähler. Seine Fans meinen es anerkennend, wenn sie ihn so nennen.

Auch am Clinton College dreht sich alles um Geschichten. Um Finnegan, den Schuhmacher aus Irland, der natürlich nicht wusste, was ihn erwartete, als sein Schiff in New York anlegte, nur eben, dass er sich anstrengen musste. Oder um den Regierungschef Singapurs. Der habe ihn einmal gefragt, so Biden, was man denn lernen würde, sollte man irgendwann die Kiste finden, in der das Geheimrezept Amerikas aufbewahrt werde. Das Geheimnis eines Landes, das sich wie kein anderes immer wieder neu zu erfinden verstehe. „Erstens, hab' ich ihm erklärt, bekommt bei uns kein Kind Ärger, wenn es Althergebrachtes infrage stellt. Wir zerbrechen das Alte, damit Neues entsteht.“ Zweitens rolle seit dem 18. Jahrhundert eine Einwandererwelle nach der anderen, jede zunächst mit einer gehörigen Portion Feindseligkeit begrüßt, ehe man sich mit ihr arrangiere. Am Ende offen zu sein, trotz aller Hürden, sei das Erfolgsrezept der USA.

Biden bewarb sich schon zweimal fürs Präsidentenamt

Nun aber erlebe man, wie Donald Trump die Republik auf eine andere Bahn bringen wolle. Nein, sagt Biden, ein schönes Märchen sei Amerika nie gewesen. Stets habe es Schattenseiten gegeben, eine Ablehnung all dessen, was fremd ist. Nun, da man wisse, was ein Trump im Weißen Haus bewirke, kenne man sie besser als je zuvor, diese dunkle Seite. „Es reicht. Leute, es ist höchste Zeit, dass wir uns daran erinnern, wer wir eigentlich sind.“

Schon zweimal, 1988 und 2008, bewarb sich Biden fürs Präsidentenamt, beide Male chancenlos. Beim dritten Mal liegen die Dinge anders, jedenfalls hofft er, dass es so ist. Galt er beim zweiten Anlauf noch als typischer Berufspolitiker, als routinierter Insider, der seit Anfang der Siebziger ununterbrochen im Senat in Washington gesessen hatte, so hat er sich in den acht Jahren, in denen er Barack Obama als Vizepräsident diente, den Ruf eines Volksredners erworben. In einem Kabinett, das ganz für pragmatische Sachlichkeit stand, der Devise Obamas folgend, nur ja keine Dramen aufzuführen, war Biden die Ausnahme. Der Kumpeltyp, der auch mal Wörter benutzte, die man nicht drucken konnte. Der damit Menschen erreichte, zu denen eine auf Wahlkampfbühnen eher steife Hillary Clinton keinen Draht fand – ein Grund, weshalb sie Trump unterlag. Die Hemdsärmeligkeit inszeniert er bis heute, sie gilt als seine Stärke. Als er in Rock Hill von der Notwendigkeit strengerer Waffengesetze spricht, von Paragrafen, die den Besitz von Schnellfeuergewehren zumindest einschränken, illustriert er es mit einer Episode.

Sie handelt vom Tacheles redenden Senator Biden, unterwegs in den Jagdgebieten von Delaware, des Küstenstaats, der ihn sechs Mal in Folge in den Kongress delegierte. Im Dialog mit einem Weidmann, frei von der Leber weg: „Was, du brauchst ein Magazin mit hundert Patronen für die Hirschjagd? Und eine halbautomatische Knarre? Eine AR-15? Mann, du scheinst ja ein lausiger Schütze zu sein.“ Wer jage, dem genüge eine Schrotflinte, und die wolle er keinem wegnehmen, bringt Biden es auf den Punkt. Richtig, die amerikanische Verfassung garantiere privaten Waffenbesitz, „aber nirgends steht geschrieben, dass du an Waffen besitzen kannst, was immer du willst.“

Anekdoten sprudeln nur so aus Biden heraus

Die Anekdoten sprudeln nur so aus ihm heraus, und einmal in Schwung gekommen, schmückt Biden sie manchmal noch aus. Was bisweilen zu peinlichen Patzern führt. Neulich in Hanover, einer Universitätsstadt in New Hampshire, sprach er von einem US-Soldaten, der sich in der Provinz Kunar im Osten Afghanistans in eine Schlucht abseilte, um einen verwundeten Kameraden zu retten. Einen Getroffenen, der kurz darauf seinen Verletzungen erlag. Biden schilderte, wie er, seinerzeit Vizepräsident, vor dem Mann stand, um ihn mit einer Tapferkeitsmedaille auszuzeichnen. „Ich will das verdammte Ding nicht“, habe der Captain protestiert. „Bitte nicht! Tun Sie es nicht! Er ist doch gestorben. Er ist gestorben.“ Der Haken: Zwar reiste Biden tatsächlich in die Kunar-Provinz, wo ein GI eine Tapferkeitsmedaille erhielt, allerdings nicht aus seinen Händen, und zudem bereits 2008, da war er noch Senator. Der Vizepräsident Biden dann heftete tatsächlich einem Soldaten, der dies nicht wollte, einen Orden an die Brust. Im Jahr 2011, nur war der kein Captain, und auch die afghanische Provinz war eine andere. Sein Thema sei die Courage stiller Helden, und wenn vielleicht nicht jedes Detail stimme, so ändere es doch nichts am Wesentlichen, verteidigte sich der Kandidat. Was blieb, waren Fragezeichen. Uncle Joe, ein Erzähler, der es mit den Fakten nicht so genau nimmt? Oder spielt ihm das Gedächtnis immer öfter einen Streich? Ist er einfach zu alt fürs höchste Amt im Staat?

Ronald Reagan, bislang der älteste Präsident der Vereinigten Staaten, war 73, als er für eine zweite Amtszeit bestätigt wurde. Biden wäre 78, würde er im Januar 2021 seinen Eid leisten. Die Altersfrage kann sich noch als seine Achillesferse erweisen. Die andere Frage ist, ob sich die Wähler auch diesmal einen tiefgreifenden Wandel beim politischen Personal wünschen, so wie es im Kontrast zu George W. Bush der Fall war und ähnlich im Kontrast zu Barack Obama. Oder ob die Erfahrung, für die Biden steht, diesmal alles aussticht. Nach dem Motto: Keine Experimente mehr, dafür solide Berechenbarkeit nach der Zitterpartie mit Trump.

Student lobt Bidens Erfahrung

Einer, der es so sieht, ist Lawrence Thompson, jung, schwarz, Student am Clinton College. „Bidens Erfahrung, das ist der Wandel“, bemerkt er. Gewiss, wer „Change“ verspreche, habe oft die besseren Karten. Aber diesmal sei das womöglich anders, diesmal sehne sich das Land nach einer Rückkehr in ruhigeres Fahrwasser. Obwohl sein Herz für Bernie Sanders schlage, obwohl er Elizabeth Warren in vielem zustimme, so sage ihm sein Verstand, dass Biden der Richtige sei, schiebt Thompson hinterher. Schickten die Demokraten jemanden vom linken Flügel ins Finale, dürften die Wähler der Mitte Trump – mit zugehaltener Nase – wohl erneut den Zuschlag geben.

„Was wir brauchen, ist eine sichere Hand am Ruder“, sagt Mary Traficante, weiß, Rentnerin, einst Laborantin bei einem Chemiekonzern. „Wenn Sie so wollen, brauchen wir professionelle Abgeklärtheit.“ Jim Leonard, ein Kraftwerksingenieur, erzählt, dass er dem Seiteneinsteiger Trump anfangs eine Chance geben wollte. Bei aller Skepsis, da er sich noch erinnerte an die Zeit, in der er mit seinen Eskapaden die liebste Skandalfigur der New Yorker Boulevardblätter war. Er habe es für möglich gehalten, dass ein Nichtpolitiker die festgefahrenen Parteienfronten Washingtons auflockern würde. „Aber dann kam es noch schlimmer, als ich es für möglich gehalten hätte. Wir tun uns alle einen Gefallen, wenn wir ihn auffordern, das Weiße Haus zu verlassen.“

Der Herausforderer, dem er am ehesten zutraut, Trump zu besiegen, ist Biden, auch wenn von Begeisterung nichts zu spüren ist, wenn er über ihn spricht. Vor allem, glaubt Leonard, sei er klug genug, anderen zuzuhören, Experten, Beratern, Kritikern. Und das vermisse er am meisten bei Trump: „Ich habe das Gefühl, der hört nur auf einen, und das ist er selber.“

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