Fazit aus Davos Das Weltwirtschaftsforum am Wendepunkt

Davos · Der Managergipfel von Davos versucht eine Antwort auf Rechtsruck und Protektionismus zu finden. Ein Vorschlag für ein sozial ausgewogenes Wirtschaftswachstum.

Für Helle Thorning-Schmidt war das diesjährige Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos ein Erfolg. „Viele Unternehmen haben hier den Vertrag für verantwortliches Führen unterzeichnet“, sagte die ehemalige dänische Ministerpräsidentin. Als augenblickliche Chefin der Nothilfe-Organisation „Save the Children“ sitzt sie im Leitungsgremium des WEF 2017. „Damit verpflichten sich die Unternehmen die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen.“

Das ist dringend nötig. Die 2015 beschlossenen Ziele sehen vor, dass die extreme Armut auf der Welt bis 2030 beseitigt wird. „Gegenwärtig leben aber noch 350 Millionen Kinder in dieser Situation“, sagte Thorning-Schmidt. Deshalb ist jede Unterstützung auch von den in Davos versammelten Vorstandschefs willkommen.

Und einen zweiten wichtigen Punkt enthält der Vertrag, den WEF-Chef Klaus Schwab den Firmen zur Unterschrift vorgelegt hat. „Kurzfristige Gewinne sollten uns nicht ablenken von den gesellschaftlichen Zielen langfristigen Wohlstands und sozialer Sicherheit“, heißt es in der Erklärung. Was man als Allgemeinplatz missverstehen könnte, markiert tatsächlich einen Wendepunkt in der Entwicklung des Forums.

Denn das erste Mal in seiner Geschichte steht das WEF derzeit unter dem Druck einer Globalisierungskritik von Rechts. Während der vergangenen 20 Jahre demonstrierten immer Linke gegen den „Kapitalistengipfel“ in den Schweizer Bergen. Nun machen jedoch die Befürworter des Brexit in Großbritannien, populistische Parteien in vielen europäischen Staaten und der neue US-Präsident Donald Trump gegen das Wirtschaftsmodell mobil, das das WEF propagiert. „Die Globalisierung ist auf dem Abstieg“, heißt es in einem Artikel über Davos auf der Internetseite Breitbart.com. Breitbart-Chef Stephen Bannon, Berater von Trump, ist ein Wortführer der Alternativen Rechten in den USA.

Darauf musste das WEF reagieren. Also setzten sich die Organisatoren des Managergipfels um Klaus Schwab mit der Frage auseinander, warum das Modell der offenen Märkte an Attraktivität eingebüßt hat. In ihrem „Report über inklusives Wachstum und Entwicklung“ räumen sie ein, dass die mittleren Arbeitseinkommen der Bürger in 26 Industriestaaten zwischen 2008 und 2013 um durchschnittlich 2,4 Prozent gefallen seien.

Als er den Report vorstellte, sagte WEF-Direktor Richard Samans: „Wirtschaftswachstum alleine reicht nicht. Die Steigerung der Wirtschaftsleistung muss inklusiv wirken“, also allen Bürgern zugute kommen. Es gehe darum, die Dynamik der Gesellschaften so zu gestalten, dass der Lebensstandard steige, nicht sinke. Wenn das nicht funktioniert, so hat WEF-Chef Klaus Schwab mittlerweile erkannt, „kündigen die Verlierer den Konsens der Gesellschaft auf.“

Deswegen hat das Forum einen Index entworfen, um die Entwicklung von Staaten messen zu können. Dieser beinhaltet mehr als das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Im Inclusive Development Index (IDI, Index für inklusive Entwicklung) stecken beispielsweise auch Parameter für die Lebenserwartung, Armut, Einkommensverteilung, Staatsverschuldung und den Ausstoß klimaschädlicher Gase. Norwegen steht auf dem höchsten Platz im IDI-Ranking. Danach folgen Luxemburg, die Schweiz, Island, Dänemark, Schweden, weitere europäische Länder, sowie Australien und Neuseeland. Auf dem 13. Rang kommt Deutschland, mit aufsteigender Tendenz.

Der Index des WEF reiht sich ein in ähnliche Versuche, ein neues Maß für die Wohlstands- und Gesellschaftsentwicklung jenseits des BIP zu finden. So veröffentlichen die deutschen Grünen ihren Jahreswohlstandsbericht, den sie dem Wachstumsreport des Wirtschaftsministeriums entgegenstellen. Im Vergleich zum WEF-Index enthält die grüne Variante mehr Parameter, die die Ökologie abbilden, etwa die Artenvielfalt. Der IDI des Forums konkurriert auch dem Human Development Index (HDI, Index der menschlichen Entwicklung) der Vereinten Nationen. In diesen gehen die Lebenserwartung ein, die Dauer des Schulbesuches und die Wirtschaftsleistung pro Kopf der Bevölkerung.

Auch mögliche Maßnahmen, um die sich öffnende Schere zwischen niedrigen und hohen Einkommen zu schließen, listet das Forum auf. Dabei geht es unter anderem um Verbesserungen im Bildungs-, Sozial- und Steuersystem, sowie eine „aktive Arbeitsmarktpolitik“. Konkrete Vorschläge fehlen allerdings weitgehend. Man müsse noch weiter forschen, heißt es.

Bleibt die Frage, welche Wirkung der Anstoß des WEF auslöst. Der Kongress kann ja nichts entscheiden. Er dient zum guten Teil als Selbstverständigung der Elite über die Richtung in die Zukunft. Vielleicht herrschte bei den Weltwirtschaftsforen 2008 bis 2010 eine vergleichbare Stimmung. Damals saßen die Banker zerknirscht auf ihren Podien, mussten sich für die Finanzkrise rechtfertigen und gelobten Besserung. Die G20-Staaten verabredeten ein ehrgeiziges Regulierungsprogramm, von dem einiges umgesetzt wurde. Nicht genug, aber immerhin. In den kommenden Jahren wäre wieder eine solche Gelegenheit.