Gespräche mit Assad Der Diktator als Partner

Brüssel · Die Bundeskanzlerin dürfte gewusst haben, welchen Coup sie da landet. Als Angela Merkel in der Nacht nach dem EU-Gipfel sogar Gespräche mit dem syrischen Präsidenten Baschar al Assad nicht mehr ausschloss, war die Überraschung perfekt.

Soll die EU, die jahrelang eine Lösung für Syrien nur ohne Assad gefordert hatte, ausgerechnet mit dem Mann verhandeln, der für den Tod von nicht weniger als 250 000 Landsleuten verantwortlich gemacht wird? Der Giftgas und Fassbomben auf die eigene Bevölkerung warf?

"Das ist natürlich keine schöne Lösung", sagt der liberale Europa-Abgeordnete und Vizepräsident des EU-Parlamentes Alexander Graf Lambsdorff. "Aber um im Kampf gegen den IS-Terror erfolgreich zu sein, braucht man schlagkräftige Bodentruppen. Die werden weder die Europäer noch die USA oder Russland schicken. Es gibt nur einen, der diese bereitstellen: Assad." Gleichzeitig dürfe der Westen aber nicht den Fehler wiederholen, "den wir in Libyen gemacht haben", ergänzt der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschuss in der europäischen Volksvertretung, Elmar Brok (CDU).

"Wir brauchen einen Draht zu Assad, um die Region zu befrieden, auch wenn wir ihn damit nicht zum gleichberechtigen Gesprächspartner machen wollen. Aber es führt kein Weg um die Erkenntnis herum: Assad ist nicht nur ein Teil des Problems, sondern auch der Lösung."

Das sehen die Sozialdemokraten genauso: "Wenn es darum geht, das Terrorsystem zu beenden, dann müssen wir klüger als bisher darüber nachdenken, was hinterher passieren soll", sagt der SPD-Europa-Parlamentarier Knut Fleckenstein. "Wir haben in Libyen gesehen, dass es nicht reicht, einen Diktator einfach wegzubomben." Genau diesen Weg hatte am Freitag der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, ins Gespräch gebracht: "Die EU einschließlich Deutschlands muss bereit sein, sich neben diplomatischen Initiativen auch militärischen Überlegungen nicht zu verweigern." In Brüssel will davon niemand etwas wissen.

Eine erste Initiative erwarten die europäischen Außenpolitiker für den kommenden Montag. "Ich gehe davon aus, dass US-Präsident Barack Obama und der russische Präsident Wladimir Putin bei ihren Gesprächen am Montag in New York eine Kontaktgruppe unter Beteiligung der Europäer ins Spiel bringen werden", sagte Brok gegenüber unserer Zeitung.

Iran, die Türkei und Saudi-Arabien müssten als erstes eingebunden werden, um zu verhindern, dass in der Region am Ende ein Stellvertreter-Krieg unter religiösem Etikett entsteht. Lambsdorff: "Ich verstehe nicht, warum das Auswärtige Amt hier nicht längst die Initiative ergriffen hat. Der Bundesaußenminister hat in der Ukraine-Krise und bei den Atomverhandlungen mit dem Iran gut mit einer Kontaktgruppe operiert. Er sollte das mit dem gleichen Instrument jetzt wieder tun." Assad werde in einer solchen Kontaktgruppe zwar nicht direkt beteiligt, könnte aber durch Putin "vertreten" werden, der seit Wochen seine Truppen nach Syrien verlagert.

Tatsächlich sind sich die Brüsseler Außenpolitiker aller Parteien in diesem Punkt einig: "Auf lange Sicht ist der syrische Machthaber nicht zu halten", betonte Brok. Was keiner sagt, aber viele denken: Trotz seiner unvorstellbaren Brutalität führt an Assad derzeit kein Weg vorbei - um Syrien nicht völlig zu destabilisieren und dem IS-Terror entgegenzutreten.

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