GA-Klimazeitung Der Klimawandel in der GA-Berichterstattung

Bonn · Seit 1985 schreibt Wolfgang Wiedlich für den General-Anzeiger über den Klimawandel: Dass er droht, dass er näherrückt, dass er da ist, dass er bleibt - Erlebnisse und Einsichten aus 30 Jahren.

Vor 30 Jahren veröffentlichte der General-Anzeiger die achtteilige Serie „Klima in Gefahr“. Dem damals exotischen Thema und mir brachte das einen Nachwuchsjournalistenpreis ein – exotisch, weil von Science-fiction angehaucht. Denn die Gefahr, die von unsichtbaren Treibhausgasen ausgehen könnte, würde, so die Annahme, ja, wenn überhaupt, erst in ganz ferner Zukunft Realität. Für die Menschen hatte die Vorhersage ohnehin nur die Güte eines Horoskops. Dass es wärmer werden könnte, wurde eher als Vorteil empfunden, so würde doch wenigstens die nächste Kaltzeit etwas glimpflicher ausfallen. Dass diese einmal drohte, immerhin dass wurde der Wissenschaft „geglaubt“.

Als Jungredakteur las ich damals die Studien, an die ich – in einer Welt ohne Internet – herankam. Im Geographie-Studium war ich von einem Bonner Professor für Klima und Chaostheorie inspiriert worden. In einem Wikipedia-Beitrag wird Dieter Klaus heute „deutscher Pionier der Erdsystemforschung“ genannt. Das war mir damals nicht bewusst. Überrascht war ich, dass Kommilitonen einen physikalischen Zusammenhang wie eine Glaubensfrage – „Wie stehst Du dazu?“ – behandelten.

Wer sich nur 30 Minuten auf das Thema unvoreingenommen einließ, damals wie heute wohl das Schwierigste, konnte nicht annehmen, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe ein folgenloser Zaubertrank sein würde. Die zu Erdgas, Öl und Kohle metamorphisierten Pflanzenleichen aus grauer Vorzeit bestanden zwar nur aus Kohlenstoff, gleichzeitig ist er so etwas wie „uralter Sonnenschein“, wie die Kohleindustrie selbst ihren Rohstoff einmal nannte. Pflanzen hatten das Kohlendioxid (CO2) vor Jahrmillionen via Photosynthese aus der Atmosphäre „gesaugt“. Mengenmäßig war und ist dieses CO2 in der Atmosphäre ein Winzling, aber mit seinen wärmenden Eigenschaften eine Supermacht. Das alles weiß der Mensch seit 1859. Ohne dieses CO2 gäbe es zudem kein Leben auf der (sonst zu kalten) Erde. Wenn die Menschheit seit Dekaden pro Jahr so viel Fossiles zur Energieerzeugung verbrennt, wie in rund einer Million Jahren entstanden ist: Wie können vernunftbegabte Wesen davon ausgehen, dass der freigesetzte Gasmüll uns eines Tages nicht köcheln wird?

Doch dieser Effekt war Anfang der 1980er Jahre noch nicht spürbar. Das Thema war auch nicht massenmedientauglich. Da war die Umweltbewegung jedoch noch ein zartes Pflänzchen, die weitgehend nach Rachel Carsons Buch „Der stumme Frühling“ entstanden war. Es ging um DDT-Sprühflüge über einer US-Kleinstadt und wie die Gifte sich in der Nahrungskette anreicherten.

Natürlich erregte „Die Grenzen des Wachstums“ (1972) mein Interesse – eine vom Club of Rome beauftragte und vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) erstellte Studie. Sie faszinierte, weil erstmals eine Maschine die Folgen einer wachstumgetriebenen Welt hochgerechnet hatte; sie konnte mehrere Entwicklungen gleichzeitig betrachten und so die verborgene Dynamik unseres Handelns sichtbar machen. Das Aufsehen, das der in 81 Ländern gelesene Weltbestseller erregte, stand jedoch im Missverhältnis zu seiner einfachen Botschaft: Die Erde ist endlich. Die zweite Botschaft ging etwas unter: Auf einem endlichen Planeten sind auch die Ressourcen endlich. Aber nicht die Frage „Wie lange reicht das Öl noch?“ erschien den Autoren bedeutsam, sondern die (zu) schnelle Verwandlung der Rohstoffe in Abfälle, wozu auch der Gasmüll gehört. Sie befürchteten, dass die Ökosysteme bald überfordert sein und ein Überschreiten ihrer Regenerationsgrenzen den Untergang der Zivilisation bedeuten könnten. Wer ahnte das nicht, aber wer wollte es hören?

Schwache Computer, optimistische Aussichten

Eine andere vieldiskutierte Warnschrift hieß „Global 2000 – Der Bericht an den Präsidenten“, wie sie bis heute als angegilbte 1400-Seiten-Schwarte in manchem Bücherschrank steht. Copyright: Das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Präsident: Jimmy Carter. Am 23. Mai 1977 hatte er die Studie beauftragt, die die „voraussichtlichen Veränderungen der Bevölkerung, der Ressourcen und der Umwelt auf der Erde bis zum Ende des Jahrhunderts“ untersuchen sollte. 1980 das Ergebnis. Darin der Satz: „Die Konzentration von CO2“ werde voraussichtlich „in einem solchen Maße zunehmen, daß sich das Klima auf der Erde (...) bis zum Jahre 2050 entscheidend verändert.“ Der leistungsfähigste Privat-PC hieß damals Commodore 64. Die Autoren schrieben denn auch, dass die beschränkten Methoden „eine eher optimistische Sicht der Dinge förderten“.

Als Journalist, der unter anderem die Klimaforschung verfolgte, bewegte ich mich in einem redaktionellen Umfeld, das sich beim Klimawissen kaum von dem der Bevölkerung unterschied. Die prophezeite Erhöhung der durchschnittlichen Erdtemperatur wurde schon damals so missverstanden, dass es in Bonn nur um ein bis zwei Grad wärmer würde. Warum also die ganze Aufregung? Stets waren die Wintermonate damals in der Redaktionskonferenz jene Zeit, in der das Bauchwissen der Kollegen beim Blick auf verschneite Autos Entwarnung funkte. Unbestimmt fragte mancher in den Raum, „wie sich das alles mit den Artikeln des Kollegen Wiedlich verträgt“.

Die prophezeite globale Erwärmung war von Mitte der 1980er Jahre bis Mitte der 1990er Jahre nicht messbar, aber der atmosphärische CO2-Gehalt stieg und stieg. Der prophezeite Klimawandel erschien wie ein Gespenst, das die Medien in nachrichtenarmen Zeiten gerne aus dem Elfenbeinturm holten. Reale Sorgen waren andere: Waldsterben und Saurer Regen; der Westen reagierte mit Rauchgasentschwefelung. 1985 das Ozonloch; die Welt reagierte mit einem FCKW-Verbot. Ein Jahr später der GAU von Tschernobyl; die Westeuropäer zitterten vor unsichtbarer Radioaktivität und kauften Geigerzähler.

Als wenig später die Sowjetunion und damit die schmutzigen Industrien hinter dem Eisernen Vorhang zusammenbrachen und 1991 der Vulkan Pinatubo tonnenweise kühlende Schwefelpartikel ausspuckte, sank die Durchschnittstemperatur sogar. Klimaforscher mussten Hohn und Spott ertragen, die Öffentlichkeit atmete auf („halb so schlimm“) und Journalisten, die weiter über die drohende Erderwärmung berichteten und die Überbringer der schlechten Nachrichten waren, galten als „Umweltromantiker“ oder „Sektierer“, die rechthaberischen Forschern aufgesessen waren: „Alarmisten!“, „Panikmacher!“, „Untergangsprediger!“.

Dass der freigesetzte Gasmüll der Kohlekraftwerke auch Partikel enthielt, die die Sonnenstrahlung reflektieren und damit kühlen, war zu komplex für Medien und Talkmaster. Und was die nicht erklären, weiß der gemeine Bürger nicht über die Welt. Sand ins mediale Getriebe und ins Vertrauen in die Wissenschaft streuten eifrig auch die Leser. Darunter hartgesottene Skeptiker. Viele Namen über Leserbriefen vertrauten auf die Kraft des Titels: „Dr.“, „Prof.“ oder „Dipl.-Ing.“, selbst „Dr. med.“ sollte Klimakompetenz suggerieren. Die Sonne sei schuld; Klimamodelle seien eine Farce, weil die noch nicht einmal das Wetter vorhersagen könnten. Es wurde über „korrupte Forschern“ spekuliert, deren Fördermittel um so heftiger sprudelten, desto düsterer ihre Szenarien ausfielen. Ich stellte mir das praktisch vor: Eine mafiose Omertà unter Zehntausenden Forschern weltweit, die die Wahrheit verschweigen, obwohl in der wissenschaftlichen Community der Zweifel zu Hause ist – und erst recht der Ehrgeiz, Theorien zu widerlegen. Ganze Physiker-Generationen hatten sich abgestrampelt, Lücken in Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie zu finden. Bis heute vergeblich.

Dann begannen die Temperaturen, wie vorhergesagt, zu steigen. Zeitungsintern wuchsen Zweifel: Dürfen Leserbriefschreiber unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit weiter „alternative Fakten“ streuen? Zudem erhärtete sich der Verdacht, dass Teile der Zuschriften organisiert erfolgten. Manche wurden später als Verfasser des AfD-Energieprogramms entlarvt.

Ich muss heute immer wieder an die Prophezeiung des Klimaforschers Hartmut Graßl denken. Der hatte 1982 vorhergesagt, welche „perversen“ Folgen die Maßnahmen zur Luftreinhaltung haben würden. Die Luft würde sauberer, mehr Sonnenlicht den Erdboden erreichen und der zusätzliche Treibhauseffekt, seit 1955 von der Luftverschmutzung kaschiert, spürbar und messbar werden. Doch diese Weissagung kursierte nur in Fachmagazinen. Mir wurde zunehmend bewusst, wie lang der Weg von dort bis ins öffentliche Bewusstsein tatsächlich war und ist. In der internetlosen Zeit war die Deutsche Presseagentur (dpa) ein zentraler Filter. Was dpa nicht berichtete, war nicht in Tageszeitung und „Tagesschau“.

Von der "Ötzi"-Mania bis zum Pariser Klima-Jubelgipfel

Das ist heute anders. Das Internet steht Fakenews-Verbreitern ebenso zur Verfügung wie der Wissenschaft. Wie es um das Erdklima wirklich steht, lässt sich dort schnell erfahren. Aber war und ist eine journalistische Darstellung der Fakten überhaupt erwünscht? Noch 2013 hatte das Bundesumweltministerium mir bei einem Workshop soziologisch fundierte Empfehlungen in die Hand gedrückt: „Alarmismus, Katastrophismus und Worstcase-Szenarien möglichst vermeiden, weil dabei Risiken kommuniziert werden, von denen sich die meisten Adressaten überfordert fühlen, so dass sie sich in Wunschdenken, Verleugnung und Fatalismus flüchten.“

Ein solcher Journalismus führte nach dem Pariser Klima-Jubelgipfel 2015 auch dazu, dass die Medien mitfeierten. Dabei war das Zwei-Grad-Ziel ohne riskantes Geo-Engineering schon 2015 nicht mehr zu schaffen. Das ignorante Treiben erinnert mich an die „Ötzi“-Mania, als 1991 eine 5000 Jahre alte Gletschermumie die Welt bewegte. Das bedeutete, das Eis an der Fundstelle in den Alpen war seit 5000 Jahren nie so niedrig wie zur Fundzeit. Doch das naheliegende Signal, dass die Erderwärmung nun auf leisen Sohlen Fahrt aufgenommen hatte, ging im Infotainment unter. Die Welt beschäftigte sich mit „wichtigeren“ Fragen: Wie war „Ötzi“ umgekommen? Hatte er einen Nebenbuhler?

Verblüfft hat mich durch die Jahre, wie genau der Schwede Svante Arrhenius bereits 1896 mit Bleistift, Papier und „viel Physik im Kopf“ ausrechnete, um wie viel Grad sich die Erdtemperatur bei einer Verdoppelung des atmosphärischen CO2-Gehalts erhöhen würde. Um vier bis sechs Grad – errechnet für eine Welt mit wachsender Weltbevölkerung, rasantem Energiehunger und ohne Klimaschutz. Die Ergebnisse gigantischer Höchstleistungscomputer unterscheiden sich kaum davon – Ergebnisse, auf die die Politik angeblich gewartet hat, um handeln zu können.

Viel hat sich nicht verändert. Der Nachrichtenmann klingt weiter besorgt, wenn das Wirtschaftswachstum schwächelt und weniger Gasmüll erzeugt. Und mit dem nächsten Atemzug teilt er mit, dass die CO2-Weltemission einen neuen Rekordstand erreicht hat. Und wenn wir bald 50 Jahre Mondlandung feiern, wird wieder die aufgehende Erde über dem tristen Mond gezeigt. Es hieß damals, das Bild habe das Bewusstsein des Menschen verändert – und sei wichtiger als das mitgebrachte Mondgestein.

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