Jerusalem Der Konflikt nimmt an Schärfe zu

JERUSALEM · "Es wäre gut, wenn wir alle die Lage entspannen könnten, mit Worten und mit Taten", mahnte gestern die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bei ihrem Besuch in Jerusalem.

 Steine gegen israelische Polizisten: In Jerusalem werden Erinnerungen an die Intifada wach. Ein Historiker sieht schon einen neuen Aufstand.

Steine gegen israelische Polizisten: In Jerusalem werden Erinnerungen an die Intifada wach. Ein Historiker sieht schon einen neuen Aufstand.

Foto: AP

Nicht zufällig hatte sie sich Israel als Ziel für ihre erste Reise außerhalb der Europäischen Union ausgesucht: Jenseits des Landes toben Bürgerkriege, während sich im Land der Konflikt mit den Palästinensern nur zwei Monate nach Ende des Gaza-Krieges in neuen blutigen Konfrontationen entlädt. Der Historiker Menachem Klein von der Bar-Ilan-Universität sagt: "Wir haben in Ostjerusalem eine Intifada."

Kleins Meinung, es gebe einen neuen Palästinenseraufstand, teilen nicht alle, für viele Experten fällt das Urteil zu früh, zumal die israelischen Sicherheitskräfte alles daran setzen, die Gewalt im mehrheitlich von Palästinensern bewohnten Osten der Stadt einzudämmen. Aber nach dem dritten Anschlag eines palästinensischen Täters innerhalb von zwei Wochen kommen Zweifel auf, ob dies gelingen wird.

Zuletzt war am Mittwoch ein Araber mit einem Fahrzeug auf die Gleise der einzigen Jerusalemer Straßenbahnlinie gerast und hatte mehrere Menschen überfahren. Nach der Amokfahrt prügelte er mit einer Eisenstange auf Passanten ein. Ein ähnlicher Zwischenfall hatte sich zwei Wochen zuvor an derselben Stelle ereignet. Bilanz der Anschläge: Vier Tote und Dutzende zum Teil schwer Verletzte.

Mogherinis Appell an die Konfliktparteien trifft in der israelischen Regierung nur teilweise auf offene Ohren. Mit Worten hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu versucht, die palästinensische Seite zu beruhigen, doch konkret bleibt alles wie gehabt: Die Israelis kündigen laufend neue Bauprojekte für jüdische Wohnungen in Ostjerusalem an. Auch wenn laut Menachem Klein nur 2500 Juden unter 200.000 Arabern im Ostteil der Stadt wohnen, fühlt sich die arabische Bevölkerung durch die jüdischen Nachbarn drangsaliert.

"Diese Regierung hat eine klare Strategie: Sie lehnt eine künftige Aufteilung der Stadt in jüdische und arabische Viertel ab, wie sie der Friedensplan von US-Präsident Bill Clinton vorsah", erklärt Klein. Israel hatte sehr bald nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 den Ostteil Jerusalems annektiert, den die Palästinenser als ihre künftige Hauptstadt betrachten.

Derzeit kulminiert der Konflikt in der Hauptstadtfrage in der Auseinandersetzung um das Felsplateau mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee in der Jerusalemer Altstadt, wo bis ins Jahr 70 die beiden jüdischen Tempel standen. Für Juden ist ihr "Tempelberg" der heiligste Ort ihrer Religion, die Moslems haben dort ihr drittes Heiligtum nach Mekka und Medina.

Seit 1967 gibt es auf dem Felsplateau einen Status Quo, der im Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien 1994 bestätigt wurde: Demnach steht das Gebiet unter moslemischer Kontrolle. Juden und Christen dürfen den Ort besuchen, dort aber nicht beten. Obwohl das israelische Oberrabbinat Juden den Besuch auf dem Tempelberg aus religiösen Gründen verbietet, strömen immer mehr jüdische Besucher dorthin.

Inzwischen gibt es eine wachsende Bewegung, die fordert, Juden müssten dort oben auch beten dürfen, manche bewerben sogar den Bau eines dritten Tempels. Netanjahu stellte mehrfach in den vergangenen Tagen klar: Israel wolle an dem Status Quo nicht rütteln.

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