Kommentar zum Steinmeier-Besuch in der Türkei Dialog – worüber?

Meinung | Istanbul · Seit dem Putschversuch in der Türkei sind mehr als 75.000 Menschen festgenommen worden, über 100.000 Beamte und Angestellte wurden entlassen, mehr als 180 Zeitungen und Sender verboten. Dass die türkische Regierung angesichts dieser Lage von der Erfüllung der EU-Kriterien spricht, ist lächerlich.

Nicht ganz einfach seien seine Gespräche in Ankara gewesen, sagte Frank-Walter Steinmeier am Dienstag mit diplomatischer Untertreibung. Die Begegnungen des Bundesaußenministers und designierten Bundespräsidenten in der türkischen Hauptstadt legten die schier unüberbrückbare Distanz offen, die mittlerweile zwischen Europa und der Türkei liegt. Beide Seiten versicherten sich gegenseitig, den Dialog trotz aller Schwierigkeiten fortsetzen zu wollen. Die Frage ist nur, über was gesprochen werden soll, denn wichtige Grundlagen für einen Austausch fehlen mittlerweile.

Eine Äußerung von Steinmeiers Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu verdeutlichte, wie sehr Europäer und Türken mittlerweile aneinander vorbeireden. Der türkische Minister beklagte die „Heuchelei“ der EU und betonte, sein Land sei zur Erfüllung aller Beitrittskriterien bereit.

Was soll man darauf erwidern in einem Land, in dem Parlamentsabgeordnete und Journalisten reihenweise in den Knast wandern? Seit dem Putschversuch im Juli sind mehr als 75.000 Menschen festgenommen worden, über 100.000 Beamte und Angestellte wurden entlassen, mehr als 180 Zeitungen und Sender verboten. Dass die türkische Regierung angesichts dieser Lage von der Erfüllung der EU-Kriterien spricht, ist lächerlich. Sicher haben die Europäer im Umgang mit der Türkei Fehler gemacht. Doch am Ende ist nicht die EU dafür verantwortlich, was die türkische Regierung mit ihrem Land macht. Präsident Erdogan opfert alles – auch die EU-Kriterien für Demokratie und Rechtsstaat – seinem Ziel, eine Präsidialrepublik unter seiner Führung zu errichten.

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