Regierungsbildung in Griechenland Die Nerven liegen blank

BRÜSSEL · Von einem Fehlstart will in Brüssel (noch) niemand reden. Dass es mit der neuen griechischen Regierung aber ausgerechnet über weitere Russland-Sanktionen zu Reibereien kommen würde, hat zunächst niemand gedacht.

 Anhänger der neuen griechischen Regierung machen Stimmung gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Anhänger der neuen griechischen Regierung machen Stimmung gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Foto: dpa

Kurz vor dem Sondertreffen der EU-Außenminister am heutigen Donnerstag, bei dem die Strafmaßnahmen gegen Moskau verschärft werden sollen, protestierte das Regierungsamt in Athen dagegen, dass man das Schweigen zu einer entsprechenden Information aus Brüssel als Zustimmung interpretiert hatte. Dabei ist dies ein durchaus üblicher Vorgang im Miteinander zwischen der EU-Zentrale und den 28 Hauptstädten. "Aber vielleicht war es auch ungeschickt, die neue Regierung in den ersten 24 Stunden nach ihrer Amtsübernahme gleich so mit einem Beschluss zu konfrontieren", gab man sich in Brüssel bemüht, Verständnis zu zeigen.

Die Nerven liegen tatsächlich blank. Selten hat ein Regierungswechsel die Gemeinschaft so verunsichert. Fast schon nervös tänzeln die Europäer um Alexis Tsipras, den Hoffnungsträger vieler Griechen, herum. Dabei sandte dieser gestern erste Signale, die durchaus erleichtert zur Kenntnis genommen wurden. "Unsere Priorität ist eine neue Verhandlung mit unseren Partnern", sagte der vor seinen Ministern. Man wolle eine "gerechte" Lösung, von der "beide Seiten - Geldgeber und Griechenland - profitieren".

Doch mit einer Forderung stößt Tsipras auf fast schon erbitterten Widerstand. "Kein Schuldenschnitt" lautet die Devise in Helsinki, Berlin und vielen anderen Regierungszentralen. In Brüssel deklinieren die Finanzfachleute des Europäischen Parlamentes derweil herunter, warum ein Schuldennachlass auch "gar nichts bringt", wie es der Chef der CDU-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Herbert Reul, gestern formulierte: "Die Rückzahlung der beiden Hilfskredite beginnt erst nach 2020 und kann dann über mehrere Jahrzehnte gestreckt werden. Daran etwas zu ändern, hilft den Griechen jetzt nicht." Diese Meinung sei "verbreitet", sagte Reul weiter.

Er hat Recht: Zwar gehört die Furcht vor einem Flächenbrand, den man durch Nachgiebigkeit gegenüber Griechenland in Spanien, Portugal, Italien und sogar Frankreich auslösen könnte, zu den Urängsten. Und auch die Befürchtung, dass der Wahlsieg des linken Syriza-Bündnisses in Athen der Vorbote für einen Durchmarsch der EU-Kritiker und -Gegner auf der iberischen Halbinsel und in Großbritannien sein könnte, ist mit Händen zu greifen.

Tatsächlich macht sich angesichts der griechischen EU-Rebellen bei den übrigen 27 Mitgliedstaaten eine ganz andere Stimmung breit. "Es gibt viele Indizien dafür, dass man mehr zusammenrückt", sagte die Chefin der CSU-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Angelika Niebler. In der deutsch-französischen Zusammenarbeit beobachte sie "auffällig" mehr Übereinstimmungen in den vergangenen Tagen, die Balten rücken näher an die übrige EU heran. Und selbst die skandinavischen Mitglieder versammeln sich betont hinter der deutschen Kanzlerin. "Das Gerede von einer angeblichen Isolation Merkels in Europa ist völliger Quatsch", erklärte ausgerechnet jemand, der eher dem linken Lager im Parlament zugerechnet wird, aber nicht namentlich genannt sein möchte.

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