Die Griechenland-Krise aus Brüsseler Sicht Die Raupe wird zum Schmetterling

Athen/Brüssel · Viele positive Stimmen zur den Reformvorschlägen, aber die Bundesregierung ist zurückhaltend.

 In eine Europaflagge gehüllt sagt dieser junge Mann Ja zum Euro. Er protestiert damit gegen die bisherige Politik der griechischen Regierung. Im Hintergrund das Athener Parlament.

In eine Europaflagge gehüllt sagt dieser junge Mann Ja zum Euro. Er protestiert damit gegen die bisherige Politik der griechischen Regierung. Im Hintergrund das Athener Parlament.

Foto: dpa

Sollte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem Recht behalten, dann steht am heutigen Samstag offenbar eine "große Entscheidung" bevor. Einen Tag, nachdem Griechenland seine Reformliste nach Brüssel schickte, machte sich erstmals seit Monaten so etwas wie ein Anflug von Euphorie breit. "Seriös und glaubwürdig", nannte Frankreichs Staatspräsident François Hollande die 13-seitige Aufstellung, die verblüffende Ähnlichkeit mit jenem Papier hat, das die Geldgeber zuletzt vorgelegt hatten, Athens Premierminister Alexis Tsipras aber zurückwies.

Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann äußerte sich ebenfalls positiv und erkannte "eine Chance für eine Einigung". Italiens Premier Matteo Renzi schwärmte bereits von der Möglichkeit, zumindest den für Sonntag geplanten Euro-Gipfel der Staats- und Regierungschefs abzusagen, da sich die Finanzminister am heutigen Samstag auf einen Fahrplan mit den Hellenen einigen könnten.

Vor allem die Tatsache, dass Tsipras am Donnerstag ausgerechnet jene Experten der Troika, die er noch vor Monaten aus dem Land geworfen hatte, wieder einfliegen ließ, um das Reformpapier "Euro-Zonen-fähig" zu machen, sorgte für Aufbruchstimmung. "Die Geldgeber werden wohl kam einen Plan verwerfen, den sie selbst mit aufgestellt haben", hieß es von Experten in Brüssel.

Obwohl die griechische Regierung weitreichende Zugeständnisse beim Abbau überzogener Renten, bei der Mehrwertsteuer und bei Privatisierungen gemacht hatte, blieben einige jedoch weiter skeptisch. Das größte Problem, so betonten beispielsweise Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF), liege in den dramatisch veränderten Bedingungen. Schließlich hätten die Kapitalverkehrskontrollen und die tagelange Schließung der Banken die Situation noch weiter eskalieren lassen. Während Tsipras 53 Milliarden Euro im Rahmen eines dritten Hilfspaketes vom ESM-Rettungsfonds bis 2018 haben will, sprach IWF-Chefökonom Olivier Blanchard bereits von 60 Milliarden, die nötig seien

Ein Grund mehr für die Gegner und Skeptiker der Aktion, zunächst zurückhaltend zu bleiben. So sagte die lettische Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma sogar, sie habe grundsätzliche Bedenken gegen eine neue Milliarden-Zusage. "Für mich wird es schwer werden, das Parlament davon zu überzeugen. Und für das Parlament wird es schwer werden zuzustimmen."

Große Zurückhaltung gab es auch in Berlin. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Bundesregierung werde sich vor den angesetzten Treffen der Finanzminister sowie der Staats- und Regierungschefs nicht äußern.

Die Skepsis hat ihren Grund, den der slowakische Finanzminister Peter Kazimir anschaulich ausdrückte: "Man ist schon verwundert, wie schnell sich eine Raupe in einen Schmetterling verwandeln kann." Noch am vergangenen Sonntag habe die Mehrheit der Griechen gegen jene Zusagen votiert, die Regierungschef Tsipras nun dem Euro-Raum anbiete.

Das Vertrauen in die griechische Seite scheint erkennbar erschüttert. Vor allem die weiter aktuelle Forderung Athens nach einer Umstrukturierung der Schulden, die längst auch vom IWF unterstützt wird, könnte sich bei den Verhandlungen am Wochenende als Stolperstein erweisen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble betonte jedenfalls gestern: "Griechenland braucht einen Schuldenschnitt. Aber da können wir nicht helfen." Die Gefahr eines Grexits ist auch mit der neuen Reformliste der griechischen Regierung noch nicht gebannt.

Seit 2008 steckt Griechenland in einer tiefen Rezession. Die Finanz- und Wirtschaftskrise traf das Euroland härter als andere, denn das Land hatte seinen Wohlstand in den Jahren zuvor auf einem Schuldenberg aufgebaut. Die Wirtschaftsleistung brach um gut ein Viertel ein.

Statt in Investitionen flossen Staatsgelder in den Konsum über großzügige Lohnerhöhungen. Zudem verloren Investoren das Vertrauen; für die Schulden mussten immer höhere Zinsen aufgebracht werden.

Auch am Arbeitsmarkt blieb es katastrophal: Die Arbeitslosenquote von mehr als 26 Prozent im ersten Quartal ist die höchste aller Euroländer. Fast jeder zweite Jugendliche ist ohne Job.

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