Papst-Rücktritt Die Tage des Abschieds

Rom · Plötzlich ist da ein ganz neuer Widerstand. Der Mann im weißen Talar setzt zu seiner Rede an, doch die Worte finden keinen Weg. "Wie ihr wisst, habe ich entschieden...", sagt der Papst auf Italienisch.

Dann umschlingt der Applaus der Gläubigen in der Audienzhalle seine Stimme. Benedikt XVI. bricht ab. Er wirkt berührt, peinlich oder geschmeichelt, das ist in diesem Moment nicht ganz eindeutig. Es ist sein erster Auftritt nach der Nachricht vom Rücktritt, die viele Menschen erst in eine gewisse Orientierungslosigkeit und dann zum Nachdenken gezwungen hat.

In der kühlen, ungemütlichen Audienzhalle im Vatikan dringt dem Papst nun erstmals wieder eine ungebremste Wärme entgegen, die er vielleicht nur zum Anfang seines Pontifikats gespürt hat. Das Amt war ihm eine Last, das hat Benedikt immer wieder zu verstehen gegeben.

Die Last und eine Mischung aus Alter und Machtlosigkeit gegenüber den Verhältnissen in der römischen Kurie waren offenbar zu gewaltig, um sie weiter auszuhalten. Aber es sind die Momente des Zuspruchs der Massen, die diesen in seinen Bewegungen etwas ungeschickten, stets nur mühsam lächelnden und immer vergeistigt wirkenden Mann aufweichen könnten. Benedikt blickt auf die Menge, ein Lächeln zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. Doch der Papst des Wortes will jetzt unbedingt weiter sprechen.

Sein Einzug mit vorsichtigen Schritten bei der Generalaudienz an diesem Mittwochvormittag ist nur als triumphal zu beschreiben. Aber es ist auch der Triumph eines Gescheiterten, dem diese Anhimmelung sichtbar fremd ist. Päpste werden wie Popstars verehrt. Ein Papst, der wieder normaler Mensch sein will und damit Schwäche zeigt, ist für die Massen noch verehrungswürdiger.

Die Halle südlich des Petersdoms ist bis auf den letzten Stuhl gefüllt, 12.000 Menschen haben hier Platz. Alle stehen auf und spenden Benedikt Applaus. Alte, Junge, Kinder jubeln ihm zu. Auch die Prälaten in den vorderen Reihen wirken aufgedreht. Es dauert nicht lange, dann füllen Benedetto-Rufe den großen Raum. Der Papst, der sitzend auf einem verzierten Lehnstuhl etwas erhöht thront, setzt wieder an. Er wartet nicht, bis der Applaus versiegt.

"Danke für Eure Zuneigung", spricht Benedikt auf seinem bayerisch gefärbten Italienisch ins Mikrofon, rechts neben ihm sitzt sein Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein. Dann kommt der Papst erstmals öffentlich auf seinen Rücktritt zu sprechen. Seine Stimme ist schwach, sie stolpert vor sich hin und wird dann lauter: "Ich habe in absoluter Freiheit und zum Besten der Kirche entschieden." Selten hat Benedikt XVI. Worte so deutlich betont. Es seien zuletzt keine einfachen Tage für ihn gewesen. "Betet weiter für mich, für die Kirche und für den zukünftigen Papst", sagt er noch.

[kein Linktext vorhanden]Dann spricht er über den Beginn der Fastenzeit. Am Ende nimmt er seine silberne, viereckige Professorenbrille in die linke Hand und grüßt mit den gespreizten Fingern eines Greises. "Papa, Papa, Papa", hallt es rhythmisch durch den Saal. In den hinteren Reihen hissen Gläubige ein Transparent mit der Aufschrift "Grazie Santità". Es sind die Tage des unfreiwillig triumphalen Abschieds.

Niemand hat ihn zu seinem Rücktritt gezwungen, kein Komplott und keine andere Notwendigkeit. Das ist die Botschaft, die nicht nur der Papst, sondern alle ihm freundlich Gesinnten in diesen Tagen vermitteln wollen. Aber selbst in der Kurie ist man sich nicht einig über die Folgen. Ist das Amt künftig wirklich "entzaubert", wie der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki behauptet? Italienische Medien zitieren Kardinäle und hohe Prälaten, die gar von einem "Desaster" und einer schweren "Wunde" sprechen, die der Papst der Kirche und dem Papstamt zugefügt habe.

Die Seilschaften in der Kurie haben sich in Stellung gebracht, es wird spekuliert und gepokert. Wenn die Atmosphäre um den Pressesaal des Vatikans in diesen Tagen einem Ameisenhaufen ähnelt, dann ist das meist genutzte Kommunikationsmittel in der Kurie jetzt die Flüsterpost. Die Kardinäle munkeln am Rande von Veranstaltungen, Abendessen, Versammlungen. Auch sie müssen sich nach dem Schock des Rücktritts erst einmal sammeln. Wer wird im Stande sein, die orientierungslos vor sich hin treibende Kirche wieder auf Kurs zu bringen? Der hoch gehandelte Erzbischof von Mailand, Angelo Scola? Oder doch der Kanadier Marc Ouellet, was ist mit Kardinal Timothy Michael Dolan aus New York? Wird gar ein Kardinal aus Afrika der nächste Papst?

Benedikt geht diese Entscheidung nichts mehr an. Unter großem Jubel und Applaus verlässt er den Audienz-Saal. Am Nachmittag feiert Benedikt noch seine letzte große Messe, die Aschermittwochsliturgie. Nicht wie üblich auf dem Aventin, sondern im Petersdom. Es sollen sich in diesen Tagen noch möglichst viele Gläubige und Prälaten von ihm verabschieden können.

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