Streit mit westlichen Partnern Die Türkei geht auf Konfrontationskurs

Berlin · Die Entfremdung zwischen der Türkei und den westlichen Verbündeten hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Spannungen mit Deutschland und den USA gehen auf zwei gemeinsame Wurzeln zurück.

 Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Foto: AFP

Dass sich der neue Streit zwischen der Türkei und Deutschland um den Rauswurf von Korrespondenten, Festnahmedrohungen und deutsche Reisehinweise fast gleichzeitig an mehreren Themen entzündet hat, ist kein Zufall. Auch zwischen der Türkei und den USA bahnt sich eine neue Krise an. Obwohl die verschiedenen Streitfelder zum Teil sehr komplexe Hintergründe haben, gehen die Spannungen auf zwei gemeinsame Wurzeln zurück: auf den Vorwurf Ankaras an den Westen, die Türkei am Aufstieg zu einer Großmacht hindern zu wollen – und die wachsende Verärgerung in Europa und den USA über eine türkische Regierung, die als zunehmend unberechenbar empfunden wird.

Dazu gehört auch Entrüstung in Berlin über die namentliche Nennung eines deutschen Diplomaten in der türkischen Anklageschrift gegen Osman Kavala, einen der prominentesten Vertreter der türkischen Zivilgesellschaft. Die Justiz wirft Kavala vor, die Gezi-Proteste des Jahres 2013 organisiert zu haben – mit der absurden Behauptung soll die These untermauert werden, dass es sich bei den Unruhen vor sechs Jahren um einen versuchten Staatsstreich mit Hilfe des Westens gehandelt habe.

Die Anklageschrift gegen Kavala erwähnt ein Treffen des Angeklagten mit dem damaligen Chef der Rechtsabteilung im deutschen Generalkonsulat in Istanbul, Volker Helmert. Die Zusammenkunft in einem Istanbuler Café wurde heimlich fotografiert; die Fotos sind Teil der mehr als 600 Seiten langen Anklageschrift, die von mehreren türkischen Medien verbreitet wurde.

Entfremdung seit Jahren in Gang

Damit bringt die Justiz einen offiziellen Vertreter eines befreundeten Staates mit einem angeblichen Plan zur Destabilisierung der Türkei in Zusammenhang. Ob es sich um eine gezielte Aktion zur Einschüchterung deutscher Diplomaten handelte, ist fast schon Nebensache: Die Episode dürfte auf deutscher Seite nachwirken.

Die Entfremdung zwischen der Türkei und ihren traditionellen Partnern im Westen ist seit Jahren im Gang. In jüngster Zeit eskalieren die Meinungsverschiedenheiten, weil die türkische Regierung zu dem Schluss gekommen ist, dass Europa und Amerika das Land kleinhalten wollen.

„Wir fangen an, uns aufzurichten und laut und deutlich die Wahrheit zu sagen“, unterstrich Präsident Recep Tayyip Erdogan erst vor wenigen Tagen in einer Rede. „Und das macht sie nervös“, fügte er mit Blick auf westliche Staaten hinzu. Der Westen nehme fälschlicherweise an, er könne mit der Türkei umgehen wie in früheren Zeiten. Der Erdogantreue Chefredakteur der Zeitung „Yeni Safak“, Ibrahim Karagül, sieht eine internationale „Front“ ausländischer Mächte gegen die Türkei.

Aus dieser Wahrnehmung des außenpolitischen Umfeldes leitet die Führung in Ankara den Schluss ab, dass sich die Türkei wehren und die eigenen Interessen offensiver vertreten müsse. Der Versuch der türkischen Regierung, den Berliner „Tagesspiegel“ und das ZDF zur Entsendung neuer Berichterstatter in die Türkei zu zwingen, gehört zu dieser Politik. Auch die Ankündigung von Innenminister Süleyman Soylu, Ankara-kritische Besucher aus Deutschland an türkischen Flughäfen festnehmen zu lassen, ist aus Sicht der türkischen Regierung ein Versuch, sich gegen eine als unfair empfundene Haltung des Westens zu wehren: Ankara wirft Berlin schon lange vor, Aktivitäten türkischer Regierungsgegner tatenlos hinzunehmen.

Beziehungen am Tiefpunkt

Äußerungen wie die von Erdogan und Soylu haben nicht nur mit dem derzeitigen Wahlkampf vor den Kommunalwahlen am 31. März zu tun, sondern spiegeln eine neue Prioritätensetzung wider. Im Verhältnis zu den USA ist der Trend ebenfalls erkennbar. Erdogans Regierung will das russische Raketensystem S-400 kaufen, obwohl Washington befürchtet, Moskau werde damit die Möglichkeit erhalten, die Nato auszuspionieren. Erdogan lässt sich davon nicht beeindrucken: Es bleibe beim Geschäft mit der russischen Regierung, sagte er kürzlich.

Erdogan schätze die Stimmung in Washington und den „drohenden Sturm“ in den Beziehungen zu den USA völlig falsch ein, meint Aykan Erdemir, ein früherer Oppositionspolitiker, der jetzt für die Denkfabrik FDD in der US-Hauptstadt arbeitet. Neue amerikanische Sanktionen gegen die Türkei seien möglich, sagte Erdemir unserer Zeitung: „Die türkisch-amerikanischen Beziehungen dürften 2019 am Tiefpunkt ankommen.“

Diskussion um Türkei-Verbleib in der Nato

Auch aus den Reaktionen der Bundesregierung auf die jüngsten Aktionen der türkischen Regierung sprechen Irritation, Ärger und Unverständnis. Von einem „Affront“ ist die Rede und von einem inakzeptablen Verhalten Ankaras. „Äußerungen, die nach deutschem Rechtsverständnis von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, können in der Türkei zu berufsbeschränkenden Maßnahmen und Strafverfahren führen“, warnt das Auswärtige Amt in seinen verschärften Reisehinweisen für die Türkei.

Die derzeitige Verstimmung zwischen der Türkei und dem Westen dürfte nicht ohne Folgen bleiben. In den USA wird bereits die Frage diskutiert, ob die Türkei in der Nato bleiben sollte. Auch das nach der letzten Krise im deutsch-türkischen Verhältnis vor zwei Jahren mühsam wieder aufgebaute Vertrauen ist durch die jüngsten Ereignisse wieder erschüttert worden. Weitere Verwerfungen sind zu erwarten.

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