Mit Predigt von Michelle Obama Digitaler Parteitag der US-Demokraten gestartet

Washington · Die ehemalige First Lady Michelle Obama gilt bei den US-Demokraten immer noch als Zugpferd. In ihrer wohl bislang politischsten Rede rechnete sie auf einem Parteitag gnadenlos mit Präsident Trump ab. Ihre Botschaft: Geht wählen, sonst kommt alles noch viel schlimmer.

 Michelle Obama, ehemalige First Lady der USA, spricht während des Parteitages der US-Demokraten.

Michelle Obama, ehemalige First Lady der USA, spricht während des Parteitages der US-Demokraten.

Foto: dpa/Uncredited

Empathie, sagt Michelle Obama, die letzte Rednerin am ersten Abend des Nominierungsparteitags der Demokraten, über Empathie habe sie sich oft Gedanken gemacht in dieser Epidemie. Wenn man sehe, dass jemand leide oder zu kämpfen habe, gehe man auf diese Person zu. So bringe man es auch seinen Kindern bei, doch im Moment erlebten die Kinder der USA, was passiere, wenn man aufhöre, voneinander dieses Mitgefühl einzufordern.

Schnörkellos beschreibt die ehemalige First Lady, wozu schrankenloser Egoismus im pandemiegeplagten Amerika führt. Sie spricht von Leuten, „die im Supermarkt herumschreien, nicht bereit, eine Maske zu tragen, um uns alle zu schützen“. Von einem Anspruchsdenken, das besage, dass nur bestimmte Leute in dieses Land gehörten, Gier gut und Gewinnen alles sei, „denn solange du die Oberhand hast, kann dir egal sein, was mit den anderen geschieht“. Die Heranwachsenden von heute sähen, wie die Anführer dieses Landes Mitbürger zu Staatsfeinden stempelten, während sie fackeltragende Überlegenheitsfanatiker ermunterten. Voller Schrecken sähen sie, wie Kinder ihren Familien entrissen und in Käfige gesperrt, wie Pfefferspray und Gummigeschosse gegen friedliche Demonstranten eingesetzt würden, nur um dem Präsidenten einen Fototermin zu ermöglichen. Traurigerweise, sagt Michelle Obama, sei dies das Amerika, wie es sich der nächsten Generation im Augenblick präsentiere.

Nicht nur politisch bleibe die Nation hinter den Erwartungen zurück, sondern auch in Charakterfragen. „Also lassen Sie es mich so ehrlich und klar sagen wie es nur geht: Donald Trump ist der falsche Präsident für unser Land.“

Mit der Gardinenpredigt endet der erste von vier Parteitagstagen, die allesamt rein virtuell über die Bühne gehen. Keine Menschenmassen in einer Halle, nicht einmal Menschen, die sich irgendwo in größeren Gruppen versammelt hätten. Kein Applaus, keine Jubelchöre, keine lautstarken Proteste. Dafür führt eine Moderatorin, Eva Longoria, bekannt aus der Fernsehserie „Desperate Housewives“, durch das zweistündige Programm, als wäre es eine Zoom-Konferenz. Dennoch: Es gibt Reden, die unter die Haut gehen.

Da ist Kristin Urquiza, eine junge Frau aus Arizona, deren Vater im Alter von 65 Jahren an den Folgen von Covid-19 starb. Nach den Worten seiner Tochter nahm er das Virus nicht ernst genug, nachdem der Präsident die Gefahren heruntergespielt hatte. Er ging in eine Karaoke-Bar - und steckte sich an. „Er hatte nur eine einzige Vorerkrankung: Donald Trump zu glauben“, sagt Kristin Urquiza. Spätestens jetzt wisse sie, dass es zwei Amerikas gebe, „das Amerika, in dem Donald Trump lebt, und das Amerika, in dem mein Vater gestorben ist“.

Andrew Cuomo, der Gouverneur New Yorks, der Tacheles redete, als sich das Ausmaß der Seuche abzuzeichnen begann, beklagt die tiefen politischen Schluchten der Republik. „Nur ein starker Körper kann das Virus besiegen, und unsere innere Spaltung hat ihn geschwächt.“ Trump, sagt der 62-Jährige, der sich den Ruf eines fähigen Krisenmanagers erwarb, habe diese Gräben zwar nicht geschaffen, vielmehr hätten die Gräben Trump hervorgebracht. „Aber er hat alles noch schlimmer gemacht“, wettert Cuomo und sing ein Loblied auf Joe Biden, den Herausforderer, den er als erfahrenen Brückenbauer charakterisiert.

Biden, der Versöhner. Biden, der Menschenfreund, der dem Schaffner des Zuges, mit dem er täglich zwischen Washington und seinem Wohnort Wilmington pendelte, und das über dreißig Jahre, mit demselben Respekt begegnet wie einem Staatschef. Biden, der Leidgeprüfte, der schon deshalb zum Mitgefühl fähig ist, weil er nach einer Serie persönlicher Schicksalsschläge genau weiß, was Familien durchmachen, die durch das Virus einen Angehörigen verloren haben. Joe Biden, das menschliche Kontrastprogramm zum Egomanen im Oval Office - das ist schon am ersten Abend das Thema.

Bernie Sanders, bei den Primaries Bidens härtester Rivale, beschreibt die Wahl am 3. November als eine, bei der die Zukunft der amerikanischen Demokratie auf dem Spiel stehe. Für den lautesten, weil überraschendsten politischen Paukenschlag sorgt John Kasich, ein Republikaner, der sich 2016 erfolglos um die Kandidatur seiner Partei fürs Weiße Haus bewarb. Der Ex-Gouverneur von Ohio lässt sich an einer Weggabelung filmen, was unterstreichen soll, für wie ernst er die Lage hält: Nur jetzt nicht die falsche Richtung nehmen! Dass er bei einem Parteitag der Demokraten auftritt, wäre in normalen Zeiten wohl nie passiert, sagt er, „aber das sind keine normalen Zeiten“. Biden, so Kasich, sei für eine solche Ausnahmesituation der richtige Mann, weil er die Nation zusammenführen könne. „Keine Person und keine Partei weiß auf alles eine Antwort. Doch was wir wissen, ist, dass wir es ganz gewiss besser machen können als heute.“

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