Kommentar Ebola-Seuche - Das unterschätzte Virus

Es hörte sich alarmistisch an, als der liberianische Verteidigungsminister vor zwei Wochen die Vereinten Nationen um Ebola-Hilfe bat und ein Bild zeichnete, in dem drei westafrikanische Staaten in ihrer Existenz bedroht seien.

Vier Wochen zuvor hatte bereits die frühere Gesundheitsministerin von Mali, Fatoumata Nafo-Traoré, gewarnt, das Virus könne auf andere Länder oder - über das dichte Weltflugnetz - sogar Kontinente überspringen. Doch zwischen Gotteskrieger- und Putin-Alarm fiel die sich anbahnende Seuche durch den internationalen Wahrnehmungsradar oder wurde von einem mit Zynismus geeichten Kompass in die Unwichtigkeitsecke verbannt.

Frühere Ebola-Ausbrüche ereigneten sich stets in abgelegenen Landstrichen des schwarzen Kontinents und ebbten meist nach vier Wochen wieder ab. So fing es auch diesmal an, vermutlich in einer Familie in einem Dorf Guineas; die wissenschaftliche Spurensuche fixiert den ersten Patienten, ein zweijähriges Kind, auf den 6. Dezember 2013.

Nun hat das Virus mit einer Todesrate von bis zu 90 Prozent Millionen-Metropolen erreicht. Es trifft von Bürgerkriegen geschundene und bitterarme Staaten mit maladen Gesundheitssystemen und - vor allem - von Voodoo und Teufelsglauben geprägte Bevölkerungen, die Schutzanzugträger als außerirdische Invasoren empfinden und nicht von ihren riskanten Buschfleisch-Gewohnheiten und Bestattungsriten lassen wollen.

Das macht es doppelt schwer, die Seuche zu bekämpfen. Es scheint wenig aussichtsreich, die von Aberglauben und Unwissenheit getriebene Abwehr der eigenen Rettung nur mit dem Scheckbuch überwinden zu wollen.

Doch der größte Nachteil ist inzwischen der Zeitfaktor, genauer: Die Zeit des Nichtstuns der Völkergemeinschaft in den zurückliegenden Monaten. So infizierten sich möglicherweise Zehntausende, und wann die sich multiplizierende Ping-Pong-Infektionsspirale zum Erliegen kommt, steht heute in den Sternen.

Der Forschersprech von einer "Exponentialfunktion" verdeutlicht normalen Politikern und Menschen kaum, welche Ansteckungsdynamik sich da gerade durch internationale Gelassenheit entwickelt hat. Es geht nicht um ein Infektionswachstum, das sich im 1-2-3-4-Gleichschritt bewegt, sondern mittlerweile im 2-4-8-16-Galopp unterwegs ist.

Wer die hastig zusammengeschnürten Rettungspakete bewertet, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), gewinnt den Eindruck, dass die Bedrohungslage noch immer unverstanden ist. Es sind aktuell so viele Menschen infiziert, wie wahrscheinlich, addiert man alle Kurz-Epidemien, in den letzten 1000 Jahren nicht. Folglich wird immer mehr gestorben. Inzwischen gehen in Liberia sogar die Leichensäcke aus.

Es scheint, als verstehe die Welt die Botschaft nicht. Im rasenden Vermehrungszyklus des Virus schlummert zudem die Gefahr zufälliger Mutationen; es wächst das Risiko, dass Ebola eines Tages wie eine Grippe auf dem Luftweg infiziert und so noch mehr Wirtsorganismen (Menschen) und dann tatsächlich auch andere Kontinente erreicht.

Dieses Szenario ist zwar unwahrscheinlich, aber die oberste Seuchenbehörde der USA hat jetzt darauf hingewiesen, wie es laufen könnte, wenn man die Dinge weiterlaufen lässt - und nur halbherzig begleitet. Sozusagen ein Worst-Case-Szenario als Weckruf gegen die Vorstellung, wonach das Geschehen mit seinen apokalyptischen Bildern als "typisch afrikanisch" abzuhaken sei. Eben wie einen Bürgerkrieg oder eine Hungersnot.

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