Frankreich Ein ruhiger Familienvater als grausamer Attentäter

PARIS · Yassin Salhi gesteht die Ermordung seines Chefs. Und Ermittler entdecken ein Selfie des Mannes mit dem Kopf seines Opfers.

 Anwohner stehen vor der Wohnung des Täters in Saint Priest.

Anwohner stehen vor der Wohnung des Täters in Saint Priest.

Foto: dpa

Wie konnte er etwas so Grausames tun? Und warum? Diese Fragen stellt sich nicht nur die Frau von Yassin Salhi, die drei Kinder mit ihm hat. "Was geht hier vor, erklären Sie es mir", rief sie aufgebracht in einem Radio-Interview, nachdem ihr Mann am Freitagnachmittag als der mutmaßliche Attentäter von Saint-Quentin-Fallavier bei Lyon identifiziert war. "Wir leben als normale Familie, wir sind normale Muslime", erklärte die Frau. "Mein Mann ist ein ganz Ruhiger."

Und doch stürzte dieser vermeintlich ruhige Mann ganz Frankreich in Entsetzen und Furcht vor neuem Terror, knapp ein halbes Jahr nach den islamistischen Anschlägen in Paris gegen das Satiremagazin "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt. Inzwischen hat der 35-jährige Salhi zugegeben, auf dem Gelände der auf Gasprodukte spezialisierten Firma Air Products in Saint-Quentin-Fallavier seinen Chef, einen 54-jährigen Geschäftsmann, enthauptet zu haben.

Den abgetrennten Kopf fanden Polizisten am Zaun der Industrieanlage befestigt, beschmiert mit arabischen Zeichen und neben islamistischen Flaggen. Noch wird untersucht, ob der Mann vor seiner Enthauptung starb.

Mit dem Kopf seines Opfers hatte Salhi für ein sogenanntes Selfie posiert und das makabre Foto an eine kanadische Nummer geschickt. Nach dem Mord verursachte er in einem Hangar voller Gasflaschen eine Explosion. Feuerwehrleute überwältigten ihn, als er gerade mit Azeton gefüllte Flaschen öffnete. In Polizeigewahrsam kamen auch seine Frau, seine Schwester und ein weiterer Mann, der das Firmengelände zuvor in verdächtiger Weise umkreist haben soll.

Dennoch scheint unklar, ob es Komplizen gab und die Tat geplant war. Die Polizei stellte Salhis Computer, Tablet und Handy sicher, fand bei ihm aber weder explosives Material noch radikale Propaganda oder Feuerwaffen.

Nachbarn beschreiben den Mann als unauffällig, der erst seit kurzem mit seiner Familie in die Nähe von Lyon gezogen war und seinen neuen Job begonnen hatte. Vorbestraft ist er nicht, den französischen Geheimdiensten aber seit längerem bekannt. Weil er in seiner Heimatstadt Pontarlier an der Schweizer Grenze einem Salafisten mit Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Quaida nahestand, wurde über Salhi zwischen 2006 und 2008 eine Akte mit dem Vermerk "S" für "Sicherheitsüberwachung" geführt.

Nach dem frühen Tod seines Vaters, eines gebürtigen Algeriers, war seine Mutter in ihre Heimat Marokko zurückgekehrt. So auf sich allein gestellt, sei er die ideale "Beute" für Radikale gewesen, sagt heute der Vorsitzende einer Moschee in Pontarlier, der ihn kannte und als "angenehmes Kind" beschrieb. Demgegenüber nannte ihn sein früherer Kampfsport-Lehrer eine "tickende Zeitbombe", freundlich zwar, doch fähig zu "unkontrollierbarer Gewalt". Auch zwischen 2011 und 2014 fiel Salhi den Geheimdiensten wegen Verbindungen zu Salafisten auf. "Man weiß nicht, ob wir einem Fundamentalisten, der ausgeflippt ist, oder einem echten Terroristen gegenüberstehen", zitieren Medien die Ermittler.

Innenminister Bernard Cazeneuve erklärte, Frankreich stehe einem "extrem hohen" Risiko gegenüber, auch durch die "außergewöhnlich ausgeklügelte Propaganda terroristischer Gruppen". Fast 500 Franzosen sollen sich dem Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak angeschlossen haben, rund 1000 einen Aufenthalt in dieser Region gemacht haben. Gerade hat das französische Parlament ein neues Sicherheitsgesetz verabschiedet, das den Geheimdiensten umfangreiche Kompetenzen beim Abhören der Bürger ermöglicht. Doch man könne nicht "hinter jeden Verdächtigen einen Polizisten stellen", heißt es nun aus Regierungskreisen. Die große Schwierigkeit bestehe in der Unterscheidung, wer eine echte Bedrohung darstelle und wer nicht. Auch bei einem "ruhigen" Typen wie Salhi war das nicht abzusehen.

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