Zitterpartie in Athen Ein schwarzer Tag für die Euro-Familie

Premier Tsipras bringt Europa gegen sich auf, indem er Griechen rät, die Sparmaßnahmen per Referendum abzulehnen. Dabei hatten die Geldgeber ihm Freitag noch eine Brückenfinanzierung und ein Rettungspaket angeboten

 Tsipras bemängelte EU-Vorgaben, die die griechische Wirtschaft abwürgten.

Tsipras bemängelte EU-Vorgaben, die die griechische Wirtschaft abwürgten.

Foto: AP

Als Jeroen Dijsselbloem am Samstag um 17.32 Uhr vor die Medien tritt, dürfte er ahnen, dass er Worte spricht, die in die europäische Geschichte eingehen: "Angesichts der Situation müssen wir mit Bedauern zu dem Schluss kommen, dass das Programm Dienstagnacht ausläuft." Es ist die schicksalsschwere Mitteilung des Chefs der Eurogruppe und niederländischen Finanzministers, die fünf Monate intensiver Bemühungen, zahlloser Gipfeltreffen im großen und kleinen Kreis beendet. "Die Enttäuschung ist schon sehr groß", ergänzte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble wenig später.

Stunden vorher hatte der griechische Regierungschef Alexis Tsipras seine Landsleute für den kommenden Sonntag zu den Urnen gerufen, um per Volksabstimmung über die Auflagen der Geldgeber entscheiden zu lassen. "Meine Regierung hat kein Mandat für ein Programm, das die Wirtschaft weiter abwürgt", erklärte der Premier von der linken Syriza-Partei. Für eine Abstimmung am 5. Juli wäre aber eine Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms nötig gewesen. Dazu hätte man sich mit den Geldgebern einigen müssen. Das war nicht möglich. "Athen hat den Verhandlungstisch verlassen", stellte Dijsselbloem fest, als sich am Samstagmittag die Euro-Finanzminister in Brüssel versammelten. Der Rest ging schnell.

Die 18 Kassenwarte beschlossen - gegen den ausdrücklichen Willen ihres griechischen Kollegen Gianis Varoufakis - eine Erklärung, in der das Ende der Verhandlungen festgestellt wurde. "Plan B ist jetzt Plan A", sagte der finnische Finanzminister Alexander Stubb. Ab da war Athen draußen. Ohne Varoufakis sprachen die Minister weiter - über die Konsequenzen. "Wir werden alles tun, um jede denkbare Ansteckungsgefahr zu bekämpfen", sagte Schäuble. Kurz nach Mitternacht am frühen Sonntagmorgen billigte das Athener Parlament das Referendum. "Die Griechen sollen am 5. Juli über ein Angebot abstimmen, das es nicht mehr gibt - das ist völlig absurd", sagte ein Diplomat in Brüssel. Lediglich der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, erlaubte sich zu dieser Stunde noch einen kleinen Scherz: "Jetzt können wir uns ja endlich wieder Troika nennen", schmunzelte er mit Blick auf die griechische Wortklauberei, die die Geldgeber nur noch als "Institutionen" bezeichnet wissen wollten.

In Athen und anderen Städten wurden derweil die Schlangen vor den Geldinstituten immer länger. Selbst Abgeordnete im Parlament belagerten die wenigen Bankautomaten, um möglichst viel Bargeld abzuheben. An Tankstellen füllten die Griechen Kanister, Hamsterkäufe in Supermärkten begannen. Die Angst vor dem, was heute passieren könnte, wurde immer größer.

Angesichts seiner dramatischen Haushaltslage verhängt Griechenland Kapitalverkehrskontrollen. Das verkündete Ministerpräsident Alexis Tsipras gestern Abend in Athen. Die griechischen Banken und wohl auch die Börse in Athen sollen vorerst geschlossen bleiben. Gleichzeitig beteuerte der Regierungschef, die Ersparnisse, Löhne und Renten der Bürger seien "garantiert".

Zwar billigte die Europäische Zentralbank (EZB) gestern eine weitere Erhöhung des Kreditrahmens für griechische Banken, der bisher bei 90 Milliarden Euro lag. Ansonsten wären die Geldinstitute längst am Ende. Dabei weiß man in der Frankfurter Euro-Bank, dass diese Summen, an denen Deutschland mit etwa 27 Prozent beteiligt ist, endgültig verloren wären, sollte passieren, was jeder befürchtet: ein Grexit. Morgen um 24 Uhr läuft das zweite Hilfsprogramm aus. Dass Athen die Löhne und Renten pünktlich und vollständig auszahlen kann, gilt als unwahrscheinlich. Die fällige Juni-Rate an den Internationalen Währungsfonds über 1,6 Milliarden Euro dürfte nicht mehr zu stemmen sein. Dann folgt eine Mahnung, danach die Feststellung des Zahlungsausfalls. Für den Finanzmarkt bedeutet das: Das Land ist finanziell am Ende. Athen stürzt ab. Und verliert weiter.

Denn ein Verlassen des Euro-Raums ist ohne Kündigung der EU-Mitgliedschaft nicht möglich. Das bedeutet: Griechenland müsste ohne die zehn bis zwölf Milliarden Euro auskommen, die man jährlich aus den Fördertöpfen der EU bezieht. Andere Geldgeber sind nicht in Sicht. Moskau hat bisher nicht einmal das Importverbot für griechische Aprikosen gelockert.

"Das wäre alles völlig unnötig gewesen", sagte ein hoher EU-Diplomat. Die Geldgeber hatten am Freitag nach dem EU-Gipfel noch einmal nachgelegt: Eine Brückenfinanzierung über 15,5 Milliarden Euro bis November inklusive einer Verlängerung des zweiten Hilfsprogramms war angeboten worden. Sogar ein drittes Rettungspaket für drei Jahre stand in Aussicht.

Gleichzeitig hatten EU-Kommission, EZB und IWF auf die Forderung nach Rentenkürzungen verzichtet. Merkel, Hollande und andere appellierten, bevor Tsipras an diesem Tag zurückflog, das "äußerst großzügige Angebot" anzunehmen. Doch der Athener Ministerpräsident sagte wenig, reiste heim und kündigte ein Referendum an. Und sprach im Parlament von "beleidigenden Vorschlägen", die man durch ein "stolzes Nein" zurückweisen werde.

Ob die Hellenen heute die Banken stürmen (allein am Freitag haben die Bürger Schätzungen zufolge rund eine Milliarde Euro von ihren Konten abgezogen), ob die Geldinstitute überhaupt geöffnet haben, womit die Regierung die Löhne und Renten bezahlen will - niemand hatte am Wochenende darauf eine Antwort. "Ich glaube, es ist das passiert, was eigentlich nie hätte passieren dürfen", sagte der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling. Er hat Recht.

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