Anschlag in Ankara Ein unheilvolles Gemisch

Istanbul · Erstaunlich schnell haben die türkischen Behörden nach dem Anschlag auf den Militärkonvoi in Ankara, bei dem am Mittwochabend 28 Menschen starben, den mutmaßlichen Täter ermittelt: Der 24-jährige Syrer Salih Neccar soll den Selbstmordanschlag an einer Ampel im Regierungsviertel der türkischen Hauptstadt im Auftrag der syrischen Kurdenmiliz YPG verübt haben.

Die syrischen Kurden wiesen dies umgehend zurück und warfen der Türkei vor, eine geplante Invasion in Syrien rechtfertigen zu wollen.

Der Kurden- und der Syrienkonflikt vereinen sich in der Türkei zu einem unheilvollen Gemisch. Die Türkei gleiche zunehmend dem Irak und Syrien, schrieb der angesehene Journalisten Hasan Cemal in einem Beitrag für das unabhängige Nachrichtenportal T24. Nach dem Anschlag von Ankara eskaliert der Kurdenkonflikt in der Türkei, im Irak und in Syrien gleichzeitig.

Die Kurdenrebellen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) lobten den Autobombenanschlag in der türkischen Hauptstadt und kündigten weitere Gewaltaktionen an. Die PKK werde ab sofort „in den Bergen, in den Städten und überall aktiver werden“, sagte Cemil Bayik, einer der Anführer der Kurdenrebellen. In Südostanatolien liefern sich türkische Sicherheitskräfte und PKK-Einheiten schon seit Monaten schwere Gefechte. Bei der Explosion einer offenbar von der PKK gelegten Bombe an einer Landstraße in Südostanatolien starben am Donnerstag sechs türkische Soldaten. Türkische Kampfflugzeuge bombardierten unterdessen PKK-Stellungen im Nordirak, wo die Rebellengruppe ihr Hauptquartier unterhält.

Auch auf syrischem Gebiet eskalierten die Spannungen. Die Volksschutzeinheiten (YPG) und die Demokratische Unionspartei (PYD), Ableger der PKK in Syrien, wiesen die Verantwortung für den Ankaraner Anschlag von sich und warfen der Türkei vor, eine Intervention vorzubereiten.

PYD-Chef Salih Müslim sagte dem türkischen Nachrichtenportal T24, der von Ankara genannte mutmaßliche Täter sei seiner Partei unbekannt. Möglicherweise sei die Bombe von Ankara gezündet worden, um eine Intervention in Syrien begründen zu können. Die syrische Regierung und ihr Verbündeter Russland werfen der Türkei schon seit längerem vor, ein militärisches Eingreifen im Norden Syriens vorzubereiten.

Übereinstimmend berichteten kurdische Medien und syrische Beobachter, mehrere hundert offenbar pro-türkische Kämpfer hätten aus der Türkei kommend die Grenze nach Syrien überquert, um dort gegen dem Vormarsch der syrischen Kurden entgegenzutreten. In einigen Berichten war von bis zu 2000 Kämpfern die Rede, die unter anderem mit Panzern in Syrien angekommen seien. Syrische Kurden meldeten zudem ein neues türkisches Bombardement bei Kobane und erklärten, türkische Militärfahrzeuge seien in einer kurdischen Enklave auf syrisches Gebiet vorgedrungen. Eine Bestätigung dafür gab es nicht.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte kurz vor dem Anschlag von Ankara erklärt, die Türkei werde ihren Artilleriebeschuss auf die YPG in Nordsyrien ungeachtet aller internationaler Appelle und des eigentlich geplanten Waffenstillstandes in Syrien fortsetzen. Allerdings betonte Erdogan auch, die Türkei sei nicht auf „Abenteuer“ aus; in Regierungskreisen hieß es, eine Bodenoffensive sei für die Türkei nur auf Grundlage eines Konsenses in der von den USA geführten internationalen Koalition möglich.

Beobachter wie der in London lebende Türkei-Experte Ziya Meral plädierten unterdessen für eine radikale Kehrtwende in der türkischen Syrien-Politik, deren Hauptziele in der Entmachtung Assads und in der Verhinderung einer starken kurdischen Autonomie jenseits der Grenze bestehen. Die Türkei müsse sich von ihren Positionen verabschieden, forderte Meral am Donnerstag auf Twitter. Andernfalls gehe das Land schweren Zeiten entgegen: „Es wird 20 Jahre Krieg und Chaos geben, bis wieder Normalität einkehrt.“

Doch die türkische Regierung ist entschlossen, nach dem Anschlag von Ankara den Druck auf die Kurden weiter zu erhöhen, auch indirekt. So sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu mit Blick auf die von ihm angeprangerte Täterschaft der YPG, er hoffe, dass nun auch die Partner der Türkei die engen Verbindungen zwischen der syrischen Kurdenmiliz und der PKK zur Kenntnis nähmen. Die Bemerkung zielte auf die USA, die sich trotz der Einwände der Türkei bisher weigern, die YPG als Terrorgruppe einzustufen. Für Washington ist die Kurdenmiliz ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) im Norden Syriens.

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