Die Rolle des Kinos für die Kurden Ein Volk wird sichtbar

Die Entstehung einer modernen nationalen kurdischen Kultur wurde lange durch die geografische Zerstreuung der Kurden erschwert. In ihren Siedlungsgebieten in der Türkei, im Irak, in Iran und Syrien sprechen die Kurden nicht nur verschiedene Sprachen und Dialekte, sondern sind auch durch die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen geprägt.

 Initialzündung: Ayub Ahmadi in einer Szene des Films "Zeit der trunkenen Pferde".

Initialzündung: Ayub Ahmadi in einer Szene des Films "Zeit der trunkenen Pferde".

Foto: dpa

Erst in der europäischen Diaspora wurde es ihnen möglich, einander näherzukommen und dank grenzüberschreitender elektronischer Medien gemeinsam kulturelle Aktivitäten zu entfalten. Einen Schwerpunkt bildet dabei seit eineinhalb Jahrzehnten der Film, der zu einem wichtigen Medium politischer und kultureller Selbstbehauptung der Kurden geworden ist.

Wie eine Initialzündung scheint hier, so fand kürzlich die türkische Anthropologin und Medienkritkerin Suncem Koçer heraus, die Verleihung der Goldenen Kamera 2000 in Cannes an den iranisch-kurdischen Regisseur Bahman Ghobadi gewirkt zu haben. Das starke internationale Echo auf sein Filmdebüt "Die Zeit der trunkenen Pferde" inspirierte kurdische Kulturaktivisten in London zu der Idee, ein kurdisches Filmfestival zu organisieren. Die treibende Kraft hinter der Initiative war der Kurde Mustafa Gündogdu, der die erste derartige Veranstaltung denn auch schon 2001 mit Hilfe von Fördermitteln auf den Weg brachte. Das Festival sollte eine Antwort auf jede Art von Kulturimperialismus sein, der das kurdische Erbe stets aus der kulturellen Landschaft zu verbannen versuche.

Filme, die Kurden in ihren verschiedenen Heimatländern drehen, an einem Ort zu versammeln, wurde als Teil des globalen kurdischen Kampfes um "Existenz und Sichtbarkeit" verstanden. Ähnliche Veranstaltungen folgten bald auch in Paris und Wien. In Deutschland werden seit den Premieren in Frankfurt und Berlin im Jahr 2002 in mehreren Städten regelmäßig kurdische Filmfestivals veranstaltet.

Dem Londoner Festival-Initiator Mustafa Gündogdu war von Beginn an daran gelegen, die Anfänge einer genuin kurdischen Filmgeschichte aufzuspüren. Fündig wurde er in Armenien, wo bis heute eine kleine kurdische Minderheit lebt. Im armenischen Staatsarchiv entdeckte er 2006 den 1926 entstandenen Stummfilm "Zaré", den Gündogdu auf Festivals seitdem gerne als das allererste mit dem Kurdentum befasste kinematografische Werk präsentiert.

Der Spielfilm handelt von der Liebe zwischen der Dorfschönheit Zaré und einem Hirten, deren Scheitern der Filmautor in sozialistischer Manier auf feudale Verhältnisse und den rigiden Traditionalismus des Bergvolkes zurückführt - Ort der Handlung ist übrigens ein kurdisch-jesidisches Dorf. Wenngleich der Konflikt zwischen Liebe und Tradition auch im zeitgenössischen kurdischen Film häufig thematisiert wird und "Zaré" für Gündogdu auch schon deshalb eine Art Urmodell des kurdischen Films darstellt, trifft diese Einschätzung bei seinen Volksgenossen auf Kritik. Denn der Stummfilm erfüllt keineswegs die Kriterien, die Gündogdus Kollegen für einen echten kurdischen Film für unabdingbar halten.

"Zaré" wurde nämlich nicht von einem Kurden, sondern von dem Armenier Hamo Beknazaryan gedreht, der als Begründer des armenischen Kinos gilt. Auch wird auf den eingeblendeten Schrifttafeln nicht Kurdisch verwendet, sondern Armenisch, die ursprüngliche untertitelte Version ist in Russisch. Und nach Ansicht mancher heutiger kurdischer Cineasten ist das hier vermittelte Bild von den Kurden viel zu sehr von Vorurteilen geprägt, als dass es als realistisch gelten könnte.

Trotz aller Meinungsverschiedenheiten herrscht in der kurdischen Filmgemeinde Einigkeit darüber, dass "Zaré" ein Meilenstein der nationalen Filmgeschichte ist, weil der Film die Kurden als Volk sichtbar gemacht habe - und das gerade in einer Zeit, in der ihnen ihr nationales Recht auf Selbstbestimmung verweigert wurde.

Dass die Entdeckung von "Zaré" von den Kurden in der Türkei begeistert aufgenommen wird, versteht sich von selbst. So schätzt auch die angesehene türkisch-kurdische Filmkritikerin und Regisseurin Müjde Arslan diesen Film, weil die Kurden darin zum ersten Mal auf der Leinwand als Volk dargestellt würden. Für sie hat das kurdische Kino vor allem im Dienst der nationalen Revolution ihres Volkes zu stehen. Für die meisten Kurden in der Türkei ist aber bei der Beurteilung kurdischer Filmproduktionen die Verwendung des Kurdischen das entscheidende Kriterium. Einschlägige Podiumsdiskussionen müssen allerdings noch immer auf Türkisch geführt werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Legales Massaker
Legales Massaker
Blutbad in Pakistan folgt eine HinrichtungswelleLegales Massaker
Teuflisch
Kommentar zum Polizistenmord Teuflisch