Bonner Kulturwissenschaftlerin über US-Wahlen „Einer Präsidentschaftswahl nicht würdig“

Interview | Bonn · Die amerikanische Demokratie gebe bei Veranstaltungen wie diesem ersten TV-Duell zwischen Präsident Donald Trump und Herausforderer Joe Biden keine gute Figur ab, sagt die Bonner Professorin Sabine Sielke.

 Das Wortgefecht zwischen Donald Trump (links) und Joe Biden verlief außerordentlich aggressiv.

Das Wortgefecht zwischen Donald Trump (links) und Joe Biden verlief außerordentlich aggressiv.

Foto: dpa/Patrick Semansky

Frau Sielke, was bleibt Ihnen von dieser ersten TV-Debatte im Gedächtnis?

Sabine Sielke: Es war genau der Schlagabtausch, den man befürchtet hatte. Trump hat versucht, die Agenda zu bestimmen, aber Biden ist es durchaus gelungen, durch eine andere Tonlage und Themenwechsel die Regie zum Teil zu übernehmen, wenn er nicht gerade mal wieder von Trump unterbrochen wurde. Biden hat gezeigt, dass er ein anderes Programm hat und einen anderen Dialog will, er hat auch die Zuhörer direkt angesprochen. Aber insgesamt ist es beschämend, was wir da gesehen haben. ABC hatte das Gespräch wie einen Boxkampf beworben, und so war es dann auch.

Wer konnte denn mehr punkten, um im Bild zu bleiben?

Sielke: Trump-Wähler und seine Fans werden ihn als Gewinner sehen, weil er herumgepoltert und ausgeteilt hat. Gleichzeitig werden Biden-Wähler sagen, dass er die große Angriffsfläche, die Trump durch sein Versagen in der Corona-Krise bietet, genutzt hat. Das ist eine Sache der Betrachtung. Aber die ganze Veranstaltung war einer Präsidentschaftswahl nicht würdig. Trump hat seine Unwahrheiten wiederholt, und er hat Biden als Radikalen diffamiert, also all das, was wir schon kennen. Er ist schon nach kurzer Zeit in alte Muster verfallen. Trump hat keinen Plan. Er sieht, was seine Basis goutiert, und das sind vor allem Normen- und Tabubrüche, mit denen er aber alles kurz und klein schlägt, statt konstruktiv zu sein.

Was bedeutet das für den weiteren Wahlkampf?

Sielke: Die Debatten haben letztlich nicht so viel Einfluss auf die Präferenz der Wähler für einen Kandidaten. Je nach Umfrage sind nur bis zu sieben Prozent der Wähler unentschieden. Für die Demokraten geht es nun vor allem darum, die Wähler zu mobilisieren – und sei es nur, weil sie gegen Trump sind. 2016 hat Hillary Clinton die meisten Stimmen gewonnen, bei dem US-amerikanischen Wahlsystem aber eben nicht die Wahl. Daraus werden vielleicht einige Nicht-Wähler lernen. Und diese Mobilisierung klappt vielleicht auch wegen einer möglichen Vizepräsidentin Kamala Harris.

Warum denken Sie das?

Sielke: Harris spricht eine breite Wählerschaft an, Schwarze, Frauen, Minderheiten. Wichtig ist bei der Einschätzung des Duells auch, dass im Grunde viele Wähler wissen, dass sie am 3. November über zwei Präsidentschaftskandidaten entscheiden, nämlich über Biden 2020 und über Kamala Harris spätestens 2024. Das ist mitentscheidend.

Gab es in dem TV-Duell auch inhaltliche Erkenntnisse?

Sielke: Wirklich Neues habe ich nicht gehört, wenn es nicht so ein Schlagabtausch gewesen wäre, wäre es geradezu langweilig gewesen.

Was wäre denn ein wichtiges Thema?

Sielke: Das ist sicher der systemische Rassismus und die Polizeigewalt in den USA. Aber Trump hat sich in diesem Forum erstaunlicherweise nicht von den rechten Milizen distanziert, sondern, ganz im Gegenteil, gesagt: „stand by“, also „haltet euch bereit“. Es gibt große Ängste, was im Falle einer Wahlniederlage von Trump nach dem 3. November passieren könnte. In der Debatte hat Trump dann den Fokus verschoben auf die Gewaltbereitschaft einiger weniger Demonstranten und das Thema auf Law-and-Order gelenkt. Auch für Biden gilt, dass Gewalt nicht geduldet wird, es geht ihm gleichzeitig aber um einen anderen gesellschaftlichen Dialog.

Was bedeutet das?

Sielke: Die Rassenkonflikte sind das Erbe einer Kultur und einer Demokratie, die auf einem Widerspruch entstanden ist, indem sie die Sklaverei in ihren Grundfesten hatte und die Diskriminierung immer weiter fortgeführt hat. Gewalt, die von der Polizei ausgeübt wird, wurde nicht geahndet. Da muss etwas passieren, eine Polizeireform. Das ist schwierig und komplex. Die Debatte hierüber blieb aus, aber das ist ein wichtiges Thema. Biden will hier an die Obama-Administration anknüpfen, den Dialog suchen und Brücken schlagen. Das ist von Trump offensichtlich nicht gewollt. Er eskaliert die Situation.

Was heißt das für die Demokratie?

Sielke: Die Demokratie hat schon viel Schaden genommen. Aber die Entwicklungen in den USA in der letzten Zeit zeigen eben auch, wie dehnbar die amerikanische Demokratie ist und wie viel möglich ist. Es ist verwunderlich, wie wenig Widerstand es unter den Republikanern gibt. Das sind Entwicklungen, die viele verängstigen, besonders auch europäische Beobachter.

Das Land ist also gespalten, und das hat sich auch bei der Debatte gezeigt?

Sielke: Zwischen diesen Kontrahenten ist kein Dialog möglich, aber das war auch gar nicht beabsichtigt. Es werden zwei divergente Positionen nebeneinandergestellt, und die Wähler entscheiden sich dann. Auch die Medien leben von dieser Polarisierung und Dramatisierung, von diesem Polittheater. Wir gucken uns das an, weil wir eben einen Boxkampf erwarten. In der ersten TV-Debatte zwischen Richard Nixon und John F. Kennedy 1960 war das Fernsehen das Medium schlechthin. Da ging es um Inhalte, das war eine ganz disziplinierte Debatte, bei der es auch Gemeinsamkeiten gab. Heute ist das nicht mehr so. Da nehmen wir teil an einem Kampf um unsere Aufmerksamkeit.

Was bedeutet das für das Bild der USA in der Öffentlichkeit?

Sielke: Die amerikanische Demokratie gibt natürlich kein gutes Bild ab bei diesen Veranstaltungen. Trump wirkte in keiner Weise präsidential, über Biden kann man geteilter Meinung sein. Man kann nur hoffen, dass sich das im November ändert und der Spuk im Weißen Haus vorbei sein wird. Es gibt zwar viele, die glauben, dass Trump wiedergewählt wird. Aber ich will das einfach nicht glauben.

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