43 Jahre in Einzelhaft "Er war es nicht, lasst ihn frei"

WASHINGTON · Zwischen den Mühlsteinen der Justiz zerrieben zu werden, ist für Albert Woodfox Lebensalltag. Seit 43 Jahren. Der Mann aus New Orleans ist Amerikas am längsten in Isolationshaft einsitzender Häftling. Seine Geschichte hat Dutzende Reporter, Buchschreiber, Theater-Regisseure, Menschenrechts-Organisationen und die Vereinten Nationen beschäftigt. Gestern Mittag (Freitag) sollte er freikommen. Ein Gericht hat sich in letzter Minute dagegen gestellt.

 Mit 25 Jahren kam Woodfox ins Gefängnis - jetzt ist er 68.

Mit 25 Jahren kam Woodfox ins Gefängnis - jetzt ist er 68.

Foto: DPA

Obwohl höhere Instanzen das gegen ihn verhängte Urteil wegen Mordes an einem Gefängniswärter aus dem Jahr 1972 in zwei Prozessen verworfen haben, musste der ursprünglich wegen eines Raubüberfalls in der berüchtigten Haftanstalt "Angola" im US-Bundesstaat Louisiana einsitzende Woodfox jahrzehntelang 23 Stunden am Tag in der Einzelzelle verbringen. Ohne Fenster, Medienkonsum und Außenkontakte. Freiheitsentzug trotz Freispruchs. Internationaler Protest sorgte zuletzt für die Überstellung in eine weniger schlimme Haftanstalt.

Der Fall wurde zum Sinnbild für Justiz-Willkür

Nachdem zwei verurteilte Mitstreiter freikamen, der eine 2001 nach 29, der andere 2013 nach 40 Jahren, wurde Albert Woodfox im nationalen Selbstgespräch zum Sinnbild für Justiz-Willkür und die Grausamkeit der Einzelhaft. Die lange ignorierten Rufe nach seiner Freilassung wurden vor wenigen Tagen erhört: Bundesrichter James Brady verfügte in einer für die Justiz in Louisiana vernichtenden Anordnung, dass Woodfox "umgehend" in die "bedingungslose Freiheit" zu entlassen ist. Zu lange habe sich die Justiz an dem 68-Jährigen vergangen. Ihm zum dritten Mal in ein und derselben Sache den Prozess zu machen, wie Louisianas Staatsanwaltschaft das beabsichtigt, grenze an Unmenschlichkeit.

Bradys Bergründung: Albert Woodfox ist alt und krank. Zeugen, die den Tod des Wärters Brent Miller 1972 miterlebten, sind tot und etliche Beweismittel wie DNA-Proben spurlos verschwunden. Und: Mit einem fairen dritten Prozess kann Woodfox in Louisiana sowieso nicht mehr rechnen. Darum: sofortige Freilassung!

Woodfox? Anwälte Carine Williams und George Kendall jubelten über die rigorose Haltung, hatten allerdings nur kurz Gelegenheit zur Freude. Dann trat Louisianas Justizminister James "Buddy" Caldwell auf den Plan. Er legte Berufung gegen den Spruch der höheren Instanz ein - und gewann Zeit. Die Freilassung von Albert Woodfox wurde gestern auf Eis gelegt.

Dabei ist erwiesen, dass die Ermittlungen gegen Woodfox und seine beiden Mitverurteilten - Robert King und Hermann Wallace - damals schlampig und voreingenommen gehandhabt wurden; alle drei waren in den 70er Jahren hinter Gittern Aktivisten der schwarzen Bürgerrechtsbewegung "Black Panther". Dabei ist aktenkundig, dass es bis heute keinerlei eindeutige Beweise gibt und zumindest die erste Geschworenen-Jury rassistisch motiviert zusammengesetzt war.

Teenie Rogers, die Witwe des mit 33 Messerstichen getöteten Wärters, ergreift seit Jahren für Woodfox vehement Partei: "Er war es nicht, lasst ihn frei und endlich Gerechtigkeit walten", sagte sie gestern. Kommt nicht in Frage, verfügte "Buddy" Caldwell. Er hält Woodfox unverändert für den "gefährlichsten Mann der Erde". Geht es nach ihm, soll Woodfox verwehrt bleiben, was Hermann Wallace zugestanden wurde. Er starb an Leberkrebs. Wenige Tage nach seiner Freilassung.

Dass Louisianas höchster Ankläger die Anweisung des Bundesrichters kalt lächelnd ignoriert, hat Kopfschütteln und Kritik bis in den Kongress von Washington ausgelöst. Der demokratische Abgeordnete Cedric Richmond spricht von einem "persönlichen Rachefeldzug" Caldwells, der den Steuerzahler weitere Millionen kosten werde. Richmond wies darauf hin, dass landesweit über 80 000 Menschen in Isolationshaft sitzen.

Das Gefängnis "Angola" ist berüchtigt für seine Brutalität

Eine Haftmethode, die der ehemalige Vietcong-Kriegsgefangene John McCain, heute republikanischer Senator, als reine Folter bezeichnet: "Sie erdrückt deinen Geist und schwächt deinen Widerstand stärker als jede andere Form der Misshandlung."

Das Gefängnis "Angola" ist berüchtigt dafür, Inhaftierte in Stahl, Beton und Einsamkeit lebendig einzusargen. Zeitweilig brachten sich hier 300 Häftlinge pro Jahr um. Blues-Legenden wie Leadbelly haben die "Hölle" besungen. "Dead Man Walking", der Hollywood-Film über einen zum Tode Verurteilten mit Sean Penn in der Hauptrolle, wurde hier gedreht. Alt zu werden in "Angola" und bei Verstand zu bleiben, sagen Kriminologen, sei fast unmöglich. Am Eingangstor des Gefängnisses steht zynisch: "Vergessen sind alle diese Dinge, die hinter uns liegen - schauen wir vorwärts."

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