Notfallplanungen für die Erdgasversorgung in der Ukraine-Krise USA schicken Tanker mit Flüssiggas
Washington · Die USA prüfen im Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine zusätzliche Flüssiggas-Lieferungen nach Europa. Die ersten zehn Tanker sind bereits auf dem Weg.
Hinter den Kulissen laufen die Notfall-Planungen für die kurzfristige Sicherung der Energieversorgung Europas in diesem Winter auf Hochtouren. Während die ersten zehn von bis zu 30 Schiffen mit Flüssiggas bereits Kurs auf europäische Terminals aufgenommen haben, kreuzt der Rest in internationalen Gewässern und könnte bei Bedarf Häfen Europa anlaufen.
US-Regierung berät sich mit Energieversorgern
Parallel dazu ist die US-Regierung mit mehren Energiekonzernen im Austausch, wie bei einer Eskalation der Ukraine-Krise Versorgungsengpässe für ausbleibende Lieferungen aus Russland überbrückt werden könnten. Die Gespräche werden von dem für Energiesicherheit zuständigen Beamten im US-Außenministerium Amos Hochstein geführt.
Ein hoher Mitarbeiter des Ministeriums bestätigte gegenüber der Nachrichtenagentur „Reuters“ den Vorstoß. „Wir haben eine Reihe an Möglichkeiten durchgespielt und darüber gesprochen, was wir mit unseren nationalen Partnern und Verbündeten machen können.“ Im Einzelnen wollte die US-Regierung wissen, welche Kapazitäten bestehen, Exporte zu erhöhen und gegebenenfalls auf Wartungsarbeiten an den Produktionsstandorten zu verzichten.
Russland kann als Versorger nicht ersetzt werden
Die Antwort fiel ernüchternd aus. Die Konzerne gaben dem Vernehmen nach zu erkennen, dass die globalen Reserven an Erdgas knapp seien. Es gebe nicht genügend Vorräte, den Ausfall eines großen Versorgers wie Russland kurzfristig zu ersetzen.
Die Staaten der Europäischen Union beziehen etwa ein Drittel ihres Erdgasbedarfs aus Russland, das in Sibirien über die größten Reserven auf dem Weltmarkt verfügt. In Deutschland ist die Abhängigkeit mit rund der Hälfte noch höher als in den Nachbarländern. In Spanien, Portugal und Belgien fehlen darüber hinaus ausreichende Lagerkapazitäten.
30 Tanker bringen Gas für gut eine Woche
Zur Dimensionierung des Problems verweisen Analysten darauf, dass die rund fünf Millionen Kubikmeter Flüssiggas auf den US-Tankern gerade einmal ein Drittel des Bedarfs in Deutschland in einem Wintermonat deckten. Oder anders gesagt, käme das Flüssiggas von allen dreißig Schiffen nach Deutschland, wäre damit für einen Monat lang der Bedarf des größten europäischen Gaskonsumenten gedeckt.
Das ist bei Weitem nicht genug, Engpässe zu vermeiden. Aber die Amerikaner stehen Wort, im Falle eines Konflikts mehr zu tun. „Wir stehen Rücken an Rücken mit den Europäern“, erklärte der Vertreter eines großen westlichen Energiekonzerns.
Ein Angriff würde das Aus für Nord Stream 2 bedeuten
Russland muss damit rechnen, dass die USA die Lücke ausnutzen werden, die eine Lieferunterbrechung im Markt schüfe. Bereits heute sind die Amerikaner die größten Lieferanten von Flüssiggas weltweit. Ein Angriff auf die Ukraine bedeutete mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, das Aus der gerade erst fertiggestellten Pipeline „Nord Stream 2“. Eine Inbetriebnahme des Projekts, das russische Gasfelder unter dem Meer mit deutschen Häfen verbindet, wäre politisch nicht mehr durchsetzbar.
Darüber darf nach Ansicht von Analysten das Scheitern eines Vorstoßes des Republikaners Ted Cruz vergangene Woche im US-Senat nicht hinwegtäuschen, der auf Sanktionen gegen die Röhrenleitung abzielte. Das Weiße Haus hatte das mit dem Argument erfolgreich verhindert, in der diplomatischen Auseinandersetzung mit Russland keinen Hebel vorzeitig aus der Hand geben zu wollen.Bei einer Invasion der Ukraine änderte sich dieses Kalkül schlagartig. US-Präsident Biden hat bereits angekündigt, er werde dann einen Sanktions-Antrag des Vorsitzenden der Demokraten im Auswärtigen Ausschuss des Senats, Bob Menendez, unterstützen.
Die Ampelkoalition gerät ihrerseits unter massiven Druck, das Projekt bei einer russischen Aggression zu kippen.Zumal Präsident Wladimir Putin selber den Beweis dafür liefert, dass er die Pipeline nicht nur als „privatwirtschaftliches Vorhaben“, sondern als geostrategisches Druckmittel benutzt. Als problematisch macht sich bereits jetzt die Abhängigkeit von den russischen Erdgasröhren bemerkbar.
Flüssiggasterminal in Brunsbüttel im Bau
Bisher gibt es in Deutschland kein Flüssiggas-Terminal, bei dem die Schiffe mit der Energiehilfe aus den USA entladen werden könnten. Und bei dem am weitesten vorangeschrittenen Projekt, dem LNG-Terminal von Brunsbüttel bei Hamburg, stieg zum Jahresende der niederländische Hafenlogistiker Vopak als Partner aus. Schuld seien die hohen Auflagen, hieß es. Das Unternehmen schrieb mehr als elf Millionen Euro ab.
Vielleicht verbessert die in der Ukraine-Krise deutlich gewordene Abhängigkeit von billigem Gas aus Russland die Aussichten für das bereits totgesagte Projekt. Denn irgendwo müssen die Flüssiggas-Tanker anlegen können - egal ob Sie aus den USA, Norwegen oder Algerien kommen.