Social Media-Verbot Erdogan-Regierung blockiert Internet-Plattformen

ISTANBUL · Kurz nach Mittag versagten gestern in der Türkei plötzlich zwei der beliebtesten Internet-Plattformen den Dienst: Auf Anweisung der Justiz sperrten die Internet-Provider des Landes den Zugang zu Twitter und Youtube.

Offiziell ging es den Behörden darum, die Verbreitung linksextremistischer Propaganda zu verhindern. Tatsächlich dürfte das Zugangsverbot aber mit der in zwei Monaten anstehenden Parlamentswahl zu tun haben, vermuten Regierungskritiker. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Regierung kurz vor einer Wahl die beiden Internet-Plattformen blockieren lassen. Der Druck auf Medien und sozialen Netzwerke nimmt zu.

Begründet wurde die neue Zugangssperre mit der Verbreitung eines Fotos des Istanbuler Staatsanwaltes Mehmet Selim Kiraz aus der vergangenen Woche. Kiraz war im Istanbuler Justizpalast von Mitgliedern der linksextremen Gruppe DHKP-C als Geisel genommen worden. Die Geiselnehmer veröffentlichten über das Internet ein Foto, das Kiraz mit einer Pistole an der Schläfe zeigte, und das von vielen Medien verbreitet wurde. Wenig später starb Kiraz ebenso wie die beiden Gewalttäter bei einem Befreiungsversuch der Polizei.

Nach dem tödlichen Ende der Geiselnahme kritisierte die türkische Regierung einige Medien wegen der Verbreitung des Fotos; die Justiz nahm Ermittlungen auf. Wie erst jetzt bekannt wurde, ordnete ein Gericht die Entfernung von insgesamt 166 Internetseiten mit dem Foto an, darunter auch Twitter, Facebook und Youtube. Die Sperren der Internet-Plattformen wurden damit begründet, dass die Fotos nicht fristgerecht aus dem Netz genommen worden seien. Der Zugang zu Facebook wurde bald wieder freigegeben, weil das Unternehmen die Fotos gelöscht hatte.

Für viele Türken war das erneute Verbot eher ein Ärgernis als eine echte Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Netz. Innerhalb von Minuten veröffentlichten Online-Medien zahlreiche Ratgeber mit Tipps zur Umgehung des Zugangsverbots. Auf Twitter wurde die Blockade ebenfalls heftig diskutiert - viele Nutzer waren über Proxy-Server oder andere Hilfsmittel zu der gesperrten Seite gelangt. Im Ausland wurde der Schritt der Behörden kritisiert: Das Verbot sei "einfach dumm", erklärte der frühere schwedische Außenminister Carl Bildt.

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