EU-Rebellen Erst Athen, dann Madrid

MADRID · In Spanien macht die Partei Podemos Furore mit ihrer Kritik an "La Merkel". Schon jetzt jagt sie den etablierten Parteien viele Stimmen ab.

 Pablo Iglesias

Pablo Iglesias

Foto: AP

Spaniens Empörte schauen nach Griechenland. "Ein Wind der Veränderung beginnt durch Europa zu wehen", ruft Pablo Iglesias auf griechisch. Die 300 000 Menschen, die sich am Samstag auf der Madrider Puerta del Sol versammelt haben, antworten dem Generalsekretär der neuen Protestpartei Podemos - "Wir können" - mit tosendem Applaus. Sie sind in Bussen, Zügen, ja selbst in gecharterten Flugzeugen zum "Marsch für Veränderung" gekommen. 2015 ist ihr Jahr; davon sind sie überzeugt.

"Wie schön, Menschen zu sehen, die Geschichte machen", begrüßt Iglesias die Menge. Er spricht vom Traum eines gerechteren Spaniens, vom Ende des Spardiktats, von einem Lande, das seine Souveränität zurückerobert, in dem die Politik regiert und nicht die Märkte und die Troika. Und er hat ein Beispiel parat: "Weniger als eine Woche der neuen Regierung in Griechenland: Kostenloser Strom für 300 000 Familien, die die Rechnung nicht bezahlen können, die Privatisierungen gestoppt, Wiedereinführung der Krankenversicherung für alle, Nationalität für alle Kinder, egal welcher Hautfarbe, Wiedereinstellung der entlassenen Lehrer...", zählt er die Maßnahmen der neuen Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras auf, dem er beim letzten großen Meeting vor dem Wahltag in Athen selbst zu Seite stand. "Wer hat gesagt, dass eine Regierung keine Veränderungen herbeiführen kann?" fragt er schließlich. "Sí, se puede!" - "Ja, man kann!" hallt es als Antwort über den Platz, der einst im Mai 2011 das erste Protestcamp der Empörten aufnahm. Es ist der Ruf der Hispano-Landarbeiter in den USA, der zu Obamas "Yes, we can!" wurde und seit Beginn der Krise in Spanien auch auf dieser Seite des Atlantiks als Schlachtruf dient.

Spanien steht vor einem Superwahljahr mit Kommunal- und Regionalwahlen im Frühjahr sowie Parlamentswahlen zum Jahresende. Podemos will es Syriza gleichtun. Bei Umfragen liegt Podemos seit Ende 2014 vorn. Dabei wurde die Partei erst vor einem Jahr von einer Gruppe von Politik-, Soziologie und Philosophieprofessoren aus Madrid gegründet. Bei den Europawahlen vergangenen Mai gelang mit acht Prozent und fünf Abgeordneten die Überraschung. Seither hört der Zulauf nicht auf. Über 300 000 Menschen aller Altersgruppen und aller Schichten haben sich mittlerweile online eingeschrieben. Mit Podemos haben die Empörten, so scheint es, erneut jemanden gefunden, dem sie vertrauen wollen.

Diego Vila und Yolanda Sáez gehören zu den Unterstützern der ersten Stunde. Der studierte Tontechniker, der sich mangels Arbeit dem Bau von E-Gitarren widmet, und die selbstständige Video-Produzentin haben sich einen Platz nahe der Bühne gesichert. "Wir haben Pablo immer wieder im Fernsehen gesehen, er sprach uns aus der Seele", erklärt Yolanda.

Der 36-jährige Iglesias wetterte in eigenen Programmen im Internet und bei Talkshows gegen die Sparpolitik und gegen die "Kaste". So nennt Podemos diejenigen, die aus der engen Verstrickung von Politik und Wirtschaft, und aus der Korruption ihren Gewinn schlagen.

Das junge Paar hat vor der Krise die sozialistische PSOE gewählt. "Die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Verfassung, die den Zinszahlungen an Banken und Finanzmärkte Vorrang vor Sozialausgaben gibt, brachte das Fass zum Überlaufen", erklärt Yolanda. Es ist diese Schuldenbremse der Sozialisten, die den Kahlschlag unter den Konservativen des derzeitigen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy nach sich zog. "Das ist Neoliberalismus und hat mit linker Politik nichts zu tun", sagt die werdende Mutter. "Nicht wir haben uns geändert. Die PSOE hat sich geändert", fügt ihr Mann Diego hinzu. Doch Podemos zieht nicht nur sozialistische Wähler oder die der postkommunistischen Vereinigten Linken in ihren Bann. Auch Rajoys Volkspartei (PP) hat Stimmen an Podemos verloren. Und die Umfragen prophezeien einen weiteren Aderlass.

Für die Menschen hier auf dem Platz ist klar, wer hinter der Sparpolitik und der Verarmung Spaniens steckt: "La Merkel", die deutsche Bundeskanzlerin. Ob bei seinem Wahlkampfauftritt in Athen zusammen mit Tsipras, in den TV-Talkshows oder vor Hundetausenden, Iglesias sieht nur eine Wahlalternative: "Merkel oder Syriza" - "Merkel oder Podemos". Samaras, Rajoy, die Sozialisten sind alle nur Erfüllungsgehilfen Berlins und Brüssels.

Ob etablierte Parteien oder Medien - alle beschimpfen sie die neue Kraft als "Populisten" oder als "Bolivarianos" - Freunde der Regierungen von Venezuela, Ecuador oder Bolivien, für den einige der Professoren aus dem Führungskreis Studien erstellt haben. "Es sind traurige Gestalten. Ich akzeptiere ihre Schwarzmalerei nicht", reagiert Regierungschef Rajoy auf die Großdemonstration vom Samstag. Spanien erlebe dank seiner Reformen einen - wenn auch zaghaften - Aufschwung.

Doch unten kommt davon nichts an. Die Arbeitslosigkeit liegt weiterhin bei über 25, unter jungen Menschen gar deutlich über 50 Prozent. Die Kinderarmut ist nach Rumänien die zweithöchste in Europa. Gleichzeitig werden 60 Milliarden Euro für die Bankenrettung ausgegeben, in den Krisenjahren stieg die Zahl der Millionäre im Land um 24 Prozent.

"Wir werden die Wahlen gewinnen", verspricht Iglesias. Die Zeit für die Sparpolitik Europas laufe ab. "Tick Tack Tick Tack ..." imitieren die Menschen auf dem Platz das Geräusch einer Uhr.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Falsche Zeichen
Kommentar zum Treffen von Steinmeier mit Erdogan Falsche Zeichen
Zum Thema
Aus dem Ressort