Wahlkrimi in Polen Erste Prognosen sehen Amtsinhaber Duda knapp vorne

Warschau · Die Entscheidung über Präsidentschaft ist offen: Erste Prognosen sehen Amtsinhaber Duda hauchdünn vorn. Die Opposition hofft noch. Das Endergebnis liegt möglicherweise erst am Dienstag vor.

 Andrzej Duda (l), amtierender Präsident von Polen und Kandidat für das Amt des Präsidenten der PiS (Recht und Gerechtigkeit), gibt mit seiner Frau Agata Kornhauser-Duda bei der Stimmabgabe.

Andrzej Duda (l), amtierender Präsident von Polen und Kandidat für das Amt des Präsidenten der PiS (Recht und Gerechtigkeit), gibt mit seiner Frau Agata Kornhauser-Duda bei der Stimmabgabe.

Foto: dpa/-

Die Demoskopen hatten für die Präsidentschaftswahl in Polen am Sonntag ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt. Am Ende wurde es ein Fotofinish, und die Überprüfung der Entscheidung dürfte möglicherweise noch bis zum Dienstag oder sogar länger dauern. In der Wahlnacht führte das zu seltenen Szenen. Als am späten Abend die ersten Prognosen über die Bildschirme flimmerten, wussten viele Anhänger in beiden Lagern zunächst nicht, ob sie jubeln, trauern oder einfach nur weiterzittern sollten. Nach den vorläufigen Zahlen, die auf Nachwahlbefragungen beruhten, stimmten zwar 50,4 Prozent für den rechtsnationalen Amtsinhaber Andrzej Duda und damit für seine Wiederwahl. Der liberalkonservative Herausforderer Rafal Trzaskowski kam auf 49,6 Prozent der Stimmen.

Angesichts einer statistischen Fehlerquote von zwei Punkten hieß das aber: Faktisch war noch alles möglich. Mit ersten offiziellen, auf Stimmauszählungen beruhenden Resultaten wurde im Lauf des Montags gerechnet. Experten gingen jedoch davon aus, dass die endgültige Entscheidung frühestens mit Verkündung des amtlichen Endergebnisses fallen dürfte, die für Dienstag erwartet wird. Sollte der Wahlsieg jedoch von einigen Hundert oder wenigen Tausend Stimmen abhängen, sind gerichtliche Anfechtungen, Überprüfungen und eine weitere Verzögerung wahrscheinlich.

Duda und Trzaskowski traten nach Schließung der Wahllokale dennoch fast zeitgleich vor ihre Anhänger und ließen sich, als die erste Schrecksekunde verstrichen war, vorsorglich schon einmal feiern. „Dies ist ein grandioser Abend für die polnische Demokratie“, erklärte Duda und stimmte in die lauter werdenden Rufe seiner Anhänger ein: „Es lebe Polen!“ Dann kündigte er an, die erfolgreiche Politik der vergangenen fünf Jahre fortsetzen zu wollen. Trzaskowski prophezeite, dies werde eine lange Wahlnacht, und „unsere Resultate werden immer besser werden“.

Beide dankten ihren Unterstützern für ihren unermüdlichen Einsatz in einem „enorm intensiven Wahlkampf“. Tatsächlich hatten beide Lager vor der Wahl in selten erlebtem Ausmaß auf „Mobilisierung, Mobilisierung und nochmals Mobilisierung“ gesetzt, wie es die Zeitung „Rzeczpospolita“ auf den Punkt brachte. Das führte zu einer noch einmal leicht gestiegenen Wahlbeteiligung von 68,9 Prozent. Das war die historisch höchste Beteiligung bei Wahlen im postkommunistischen Polen. Der Andrang wies auf die große Bedeutung der Abstimmung hin, die im Vorfeld in beiden Lagern als Richtungsentscheidung gewertet worden. Viele Kommentatoren sprachen sogar von einer „Schicksalswahl für Polen“.

Hintergrund war die aktuelle Machtverteilung im Land, das seit 2015 von der rechtskonservativen PiS regiert wird, als deren Kandidat vor fünf Jahren auch Duda ins Präsidentenamt kam. Das Staatsoberhaupt verfügt in Polen zwar über wenig Gestaltungsmöglichkeiten, aber über ein starkes Vetorecht. Duda machte davon jedoch keinen nennenswerten Gebrauch und unterstützte die Politik der PiS, deren autoritärer Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski als „wahres Ziel“ seiner Partei einen fundamentalen Umbau von Staat und Gesellschaft ausgegeben hat.

Ein heroischer Patriotismus und die Werte des katholischen Polentums sollen demnach die Basis einer Leitkultur schaffen, die von einem starken, im Zweifel autoritären Staat geschützt wird. Ergänzt wird das Programm, für das auch Duda erneut antrat, durch eine paternalistische, den freien Markt „zähmende“ Wirtschafts- und Sozialpolitik. Trzaskowski hat dagegen angekündigt, das Präsidentenveto vor allem in der hoch umstrittenen Justiz- und Bürgerrechtspolitik nutzen zu wollen. Wegen der Aushöhlung der Gewaltenteilung durch die PiS-Regierung hat die EU-Kommission schon 2016 ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eingeleitet.

Sollte der Warschauer Oberbürgermeister Trzaskowski am Ende als Sieger aus dem Duell mit Duda hervorgehen, steht dem Land bis zum Herbst 2023 eine sogenannte Kohabitation bevor. Die PiS-Regierung würde weiter die Politik gestalten, müsste aber stets mit einem Veto des Präsidenten rechnen, das nur von einer Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament überstimmt werden kann. Über eine solche Mehrheit verfügt der Regierungsblock nicht. Für den Fall eines knappen Trzaskowski-Sieges rechnen viele Experten deshalb damit, dass die PiS das Ergebnis vor Gericht anfechten wird.

Das wäre vor allem deshalb brisant, weil die Rechtsprechung in Polen nach den so heftig umstrittenen PiS-Justizreformen wenigstens indirekt der Regierungskontrolle unterworfen ist. Die Partei hat auch das Verfassungsgericht mit Richterinnen und Richtern besetzt, die ihr mindestens nahestehen. Sollte die Wahl auf diesem Weg annulliert werden, dürften Polen unruhige Zeiten mit Massendemonstrationen und rechtlicher Unsicherheit bevorstehen. Ähnliche Szenarien sind allerdings auch denkbar, wenn die Behörden Duda zum Sieger erklären sollen. Bei einem knappen Ergebnis würde die Opposition die Wahl wohl anfechten.

Argumentativ stützen könnte sie sich dabei auf die zweifelhafte Vorgeschichte des Urnengangs, der ursprünglich für den 10. Mai geplant war. Die PiS-Regierung und die untergeordneten Behörden hatten den Termin aber wegen Corona-Pandemie verstreichen lassen, ohne dass abgestimmt worden wäre. Die „Geisterwahl“ erzwang dann faktisch eine Verschiebung auf Ende Juni. Viele Verfassungsjuristen in Polen halten die Neuterminierung für irregulär. Sie verweisen vor allem darauf, dass PiS-Chef Kaczynski, der kein Staats- oder Regierungsamt innehat, das Verfahren ohne Beteiligung der zentralen Verfassungsorgane durchsetzte.

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