Brexit Es geht um 21.000 Gesetze

Brüssel · Innerhalb von zwei Jahren soll der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union vollzogen sein. Doch das ist blanke Theorie. Wie geht es nach dem Brief Londons an Brüssel nun weiter? Fragen und Antworten.

 EU-Ratspräsident Donald Tusk (r) bekommt vom britischen EU-Botschafter Tim Barrow am 29. März in Brüssel das Schreiben von Premierministerin May zum EU-Austritt von Großbritannien überreicht. Der offizielle Brexit-Antrag aus London ist bei der Europäischen Union eingegangen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk (r) bekommt vom britischen EU-Botschafter Tim Barrow am 29. März in Brüssel das Schreiben von Premierministerin May zum EU-Austritt von Großbritannien überreicht. Der offizielle Brexit-Antrag aus London ist bei der Europäischen Union eingegangen.

Foto: picture alliance / Yves Herman/R

Das Vereinigte Königreich verlässt die EU. Das klingt einfacher als es ist. Denn das Verfahren nach Artikel 50 des Lissabonner Vertrages beinhaltet einige Fallstricke – und einen Zeitrahmen, der praktisch nicht einzuhalten ist.

Wann beginnen denn nun die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens?

Die EU wird sich jetzt erst einmal sammeln. Denn man hat ja stets deutlich gemacht: Bevor der Austritt nicht offiziell nach Artikel 50 beantragt wurde, gibt es keine Vorgespräche. Am 29. April kommen 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu einem Sondergipfel zusammen. Bei diesem Treffen will man Leitlinien beschließen, die anschließend von den Fachleuten der Regierungen zu konkreten Verhandlungspositionen erweitert werden. Deshalb geht man davon aus, dass die Verhandlungen erst im Juni starten.

Wie viel Zeit steht zur Verfügung?

Der Vertrag lässt exakt zwei Jahre zu. Demnach würde das Vereinigte Königreich am 29. März 2019 aus der Union ausscheiden. Tatsächlich werden es kaum mehr als 18 Monate sein, die bleiben. Denn noch ist nicht wirklich klar, wer ein Brexit-Abkommen noch ratifizieren muss. Sollte es ein Vertrag sein, der alle Politikbereiche umfasst, müssen – neben dem Unterhaus in London – auch die Parlamente der Mitgliedstaaten zustimmen. Es gibt Bestrebungen, dies zumindest teilweise zu verhindern.

Wie soll das gehen?

Da es ohnehin illusorisch erscheint, bis zu dem genannten Datum fertig zu werden, könnten beide Partner eine Verlängerung beschließen. In Brüssel wird deshalb daran gedacht, besonders dringende Punkte wie Zuwanderung und „alte Rechnungen“ vorzuziehen. Diese beiden Fragen könnte die EU möglicherweise auch im Alleingang beschließen.

Was muss denn eigentlich alles verhandelt werden?

Gegen das, was Briten und EU wieder trennen müssen, ist ein normales Scheidungsverfahren ein Klacks. Es geht um nicht weniger als 21.000 Gesetze. Wenn man annimmt, dass in 18 Monaten rund 500 Verhandlungstage zur Verfügung stehen, würde das bedeuten, dass man sich an jedem Tag über rund 40 Gesetze einig werden müsste. Dies ist unmöglich. Da scheint es sinnvoll, mit der Gütertrennung zu beginnen.

Wer führt die Verhandlungen?

Michel Barnier, der ehemalige französische EU-Kommissar, wurde von Jean-Claude Juncker dafür ausgewählt. Er leitet auf europäischer Seite die Gespräche zusammen mit Didier Seeuws und Guy Verhofstadt, die den Rat und das Parlament vertreten. Die Brexit-Runden finden übrigens ausschließlich in Brüssel statt.

Dürfen die britischen EU-Abgeordneten vorerst weiter im Parlament sitzen?

Ja. Da die Volksvertreter zwar von ihren britischen Wählern entsendet wurden, ihr Mandat aber im Namen aller EU-Bürger ausführen, behalten sie bis zur nächsten Europawahl 2019 ihren Sitz in der europäischen Volkskammer. Das Gleiche gilt für den Londoner EU-Kommissar Julian King.

Könnte der Brexit noch gestoppt werden, beispielsweise wenn in London eine neue Regierung ins Amt käme?

Nein. Nach dem Antrag auf Austritt nach Artikel 50 muss das Verfahren abgeschlossen werden. Viele Briten glauben ja immer noch, man könne gleich wieder eintreten, wenn sich nur die Stimmung ändert. Das ist nicht möglich. London würde dann wie ein normaler Beitrittskandidat behandelt und müsste alle Prüfungen durchlaufen. Vor allem aber gilt: Aufnahmebitten werden in Brüssel chronologisch abgehandelt. Dies heißt: das Vereinigte Königreich müsste sich wieder hintenanstellen – hinter Serbien, Montenegro, Bosnien und die Türkei.

Könnte Schottland – je nach Ausgang eines Referendums – gleich in der EU bleiben?

Das erscheint rechtlich nicht möglich. Schottland ist zunächst auf Gedeih und Verderb Mitglied Großbritanniens und tritt deshalb mit aus. Die EU-Kommission kann auch keine Aufnahmeverhandlungen mit einem Land führen, das noch nicht autonom ist. Deshalb müssten die Schotten zunächst den Austritt aus dem Vereinigten Königreich beschließen, ehe sie in Brüssel vorstellig werden können.

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