Ebola-Epidemie "Es wird jeden Tag dramatischer"

BONN · In Westafrika wütet das Ebola-Virus. Salesianerbruder Lothar Wagner (40) leitet seit 2008 das Don-Bosco-Zentrum Fambul in Freetown, Hauptstadt des bitterarmen Sierra Leone, und hält dort die Stellung. Das Zentrum wird durch die Organisation Don Bosco Mondo in Bonn unterstützt. Mit Bruder Lothar sprach Wolfgang Wiedlich.

 Lothar Wagner: "Geheilte Kinder werden von ihren Familien ausgestoßen."

Lothar Wagner: "Geheilte Kinder werden von ihren Familien ausgestoßen."

Foto: Kindermissionswerk

Die Weltnachrichten berichten nichts Gutes aus Westafrika. Im Gegenteil: Wie verschlimmern die Ebola-Folgen das Leben in Freetown?
Bruder Lothar: Es wird jeden Tag schwieriger und dramatischer. Eine solch verheerende Situation habe ich noch nicht erlebt. Der gesamte Alltag dreht sich um das Virus. War das Stadtbild vor wenigen Wochen noch durch vermummte Menschen in Schutzkleidung geprägt, so hat sich dieses Bild zumindest wieder normalisiert, jedoch nur deshalb, weil es keine Schutzkleidung mehr gibt. Es ist schwer, derzeit einfache medizinische Schutzhandschuhe zu finden. Dem Virus wird es dadurch sehr einfach gemacht. Wir haben nun jeden Tag eine Lagebesprechung, die sonst nur einmal pro Woche stattfindet. Wir müssen täglich neu entscheiden, wo wir unser Programm der aktuellen Lage anpassen müssen. Im Moment ist alles geschlossen: die Schulen, die Landesgrenzen und die Krankenhäuser jetzt auch, weil das Personal aus Infektionsangst nicht mehr zum Dienst erscheint. Und nun spitzt sich die Lage besonders zu, weil für Ebola-Infizierte nicht ausreichend Behandlungsbetten zur Verfügung stehen. Das ist die nächste Stufe der Katastrophe.

Sie meinen, dass Infizierte nicht behandelt werden?
Bruder Lothar: Ja, die wenigen Behandlungszentren für Infizierte können nicht mehr alle positiv bestätigten Verdachtsfälle aufnehmen. Es ist unglaublich: Die kehren dann wieder zurück zu ihren Familien. Die wenigen Ärzte stoßen in den zwei Zentren an ihre Grenzen. Ganz zu schweigen von den vielen Todesfällen aufgrund unbehandelter Malaria- oder Cholerafälle. Die Folgen für das Land sind kaum auszumalen.

Bis jetzt meldet Sierra Leone 476 Ebola-Tote und mehr als 1200 Infizierte . . .
Bruder Lothar: Das sind nur die Zahlen der klinisch bestätigten Todesfälle. Unzählige sterben aber einfach so weg. Da nun jeder Todesfall erst einmal ein Verdachtsfall ist und entsprechende Schutzvorkehrungen bei der Beerdigung eingehalten werden müssen, sind auch die Bestatter total überfordert. Ebola-Tests finden bei Todesfällen kaum mehr statt. Es fehlt einfach an allem, um diese Epidemie zu stoppen: Behandlungszentren, medizinisches Material, Seuchenexperten, Ärzte. Vor allem aber gibt es nicht den wirklichen internationalen Willen, gegen diese Epidemie entschieden vorzugehen. Wir sind in Sierra Leone Menschen letzter Klasse.

Nach zehn Jahren blutigem Bürgerkrieg ist das Land seit dem Jahr 2000 mit seinem Wiederaufbau beschäftigt. Es nimmt beim Human Development Index 2012 den 177. Platz (von 187) ein. Was bedeutet Ebola für das bitterarme Land?
Bruder Lothar: Das, was jetzt passiert, hat eine ganz andere Dimension als der Rebellenkrieg, weil der Feind, das Virus, unsichtbar ist. Nach mehr als zehn Jahren der Aufbruchstimmung empfinden die Menschen das Ganze als Schock. Es wurde viel in die Infrastruktur, die Bildung und auch den Tourismus investiert, und jetzt ziehen sich Investoren wieder zurück. Das Land steht still und fängt eines Tages wieder bei null an. Oft habe ich die Frage gehört: Warum ausgerechnet wieder wir?

Was haben Sie heute in Freetown gemacht?
Bruder Lothar: Weil es auch ein Versammlungsverbot gibt, müssen wir die Menschen anders informieren: mit Lautsprechern und Radiosendungen. Oder wir gehen von Tür zu Tür, vorhin haben wir Plakate geklebt, wo wir wichtige Tipps geben. Aufklärung ist jetzt der beste Schutz: Geht nicht zu Begräbnissen, esst kein Affen-, Flughund- oder Fledermausfleisch, vermeidet Körperkontakt zu Kranken.

Wie wirkt sich die Ebola-Epidemie auf die Situation in Ihrem Zentrum, das Kinder und Jugendliche beherbergt, aus?
Bruder Lothar: Normalerweise rufen junge Menschen unsere Don Bosco Hotline 116 an, wenn sie ihre alterstypischen Probleme mit Liebe, Freundschaft und Sexualität besprechen wollen. Das waren täglich rund 50 Beratungsgespräche, jetzt sind es 200, und fast alle drehen sich um Ebola. Die Beratungszeit ist doppelt so lang. Fünf Pädagogen sind rund um die Uhr im Telefoneinsatz. Zudem ist unsere Hotline gleichzeitig die offizielle Registrierungsstelle der Regierung für Kinder, die in irgendeiner Weise durch die Ebola-Epidemie betroffen sind. Da erleben wir täglich harte Schicksalsschläge. Wir nehmen diese Kinder dann bei uns auf. Viele stehen unter Schock, manche sind traumatisiert. Das ist eine Herkulesaufgabe. Auch wirtschaftlich, da wir nun bereits zwei Anlaufstellen haben. Besonders schlimm empfinde ich, wenn Kinder, die von der Krankheit geheilt werden konnten, nun von ihren Familien ausgestoßen werden.

Glaubt die Familie nicht, dass es am guten Immunsystem lag?
Bruder Lothar: Die Kinder und Jugendlichen gelten als verhext. Es gibt hier einen tief sitzenden Hexenkult. Die Familien glauben, dass ehemals Erkrankte verflucht und vom Teufel besessen sind, dass sie von Gott bestraft worden sind und Unglück in die Familien bringen. Wir haben gerade ein sozialtherapeutisches Programm begonnen, um die Kinder und Jugendlichen wieder in ihre Herkunftsfamilien oder in ihre Großfamilie zu integrieren. Auch das kostet Geld, das wir nicht haben.

Zudem sind Sie ja keine Ebola-Taskforce, sondern haben hier eine Kernaufgabe . . .
Bruder Lothar: Wir kümmern uns in Freetown um rund 2000 Straßenkinder, um junge Gefangene im Zentralgefängnis und um Mädchen, die Gewalt erfahren haben. Die müssen wir auch schützen. Deshalb werden Besucher unserer Häuser mit einem Infrarot-Fieberthermometer untersucht, und sie müssen sich die Hände desinfizieren. Wir sind aber inzwischen tatsächlich Teil der von der Regierung gebildeten Taskforce gegen Ebola, mein Stellvertreter wurde als Berater engagiert.

Bekommen Sie keine zusätzliche Hilfe aus Deutschland?
Bruder Lothar: Wir hatten Ebola-Schutzkleidung geordert, aber das 300-Kilo-Paket wurde zwei Wochen lang hin- und hergeschoben, weil eine Airline nach der anderen ihren Flugbetrieb nach Freetown einstellte. Jetzt ist es endlich angekommen, aber der Ehrgeiz der Industriestaaten hält sich in Grenzen. Ich habe den Eindruck, man beschäftigt sich mehr mit Strategien, das eigene Land vor dem Virus zu schützen, als betroffenen Menschen in völlig überforderten Ländern zu helfen. Wir bräuchten 30 000 Schutzanzüge pro Monat, dazu Desinfektionsmittel. Aber es reicht noch nicht einmal für die Helfer. Dieser Ebola-Ausbruch ist von Anfang an von allen Seiten unterschätzt worden, nicht nur von der Regierung in Sierra Leone.

Was passiert in Freetown mit infizierten Angehörigen?
Bruder Lothar: Erkrankt jemand und zeigt Symptome, die zunächst auch der Malaria oder einer anderen Erkrankung zugeordnet werden können, wird er im Kreise der Familie gepflegt, womit die Ebola-Ansteckungswege weiterhin nicht unterbrochen sind. Das will die Regierung in den nächsten Tagen ändern, indem staatliches Personal von Tür zu Tür geht und die Infizierten aus den Familien herausholt. Da drohen uns Konflikte, die auch in Unruhen münden können. Sollte es dazu kommen, wäre die Seuche kaum noch zu bekämpfen.

Wo sollen die Ebola-Erkrankten denn hin, wenn die Krankenhäuser geschlossen sind?
Bruder Lothar: Auch wenn sie geöffnet wären, vertraut man hier mehr der traditionellen Medizin als der westlichen. Außerdem glaubt man, dass es sich bei diesem unsichtbaren Ebola-Feind um eine höhere Strafe handelt, gegen die es kein Heilmittel gibt.

Wenn die gesunden Menschen aus Angst vor Ansteckung nicht mehr ihr Haus verlassen, bricht dann nicht auch die gesamte Versorgungslogistik zusammen?
Bruder Lothar: Wenn die Ebola-Krise vorbei ist, wobei ich das Ende noch nicht sehe, wartet auf die Überlebenden eine Lebensmittel-Katastrophe. Es geht zurzeit aus reiner Ebola-Angst kein Bauer mehr auf sein Feld, um zu ernten. Alles ruht und provoziert weitere Missstände. Dazu gehört auch der Zusammenbruch der ohnehin bescheidenen staatlichen Kontrolle. Eine Folge davon ist, dass der internationale Kinderhandel wieder aufblüht. Heute haben wir ein Neugeborenes kurz vor seinem Abflug in die USA zu möglichen Adoptiveltern am Flughafen zurückgeholt. Es war einer 16-jährigen Mutter aus unserem Zentrum weggenommen worden mit der Begründung, sie sterbe sowieso bald an Ebola. Dabei ist diese 16-Jährige gar nicht infiziert.

Warum sind Sie dem Aufruf von Mitte August des Auswärtigen Amtes, das Land zu verlassen, nicht gefolgt?
Bruder Lothar: Ich habe hier Wurzeln geschlagen und Freunde und Mitbrüder. Da kann ich doch nicht einfach abhauen, wenn die Not am größten ist. Das ist ja auch das Grundmotiv von Don Bosco: Da sein, wo junge Menschen in Not sind. Das gibt mir Kraft. Das ist jetzt keine Sozialromantik oder Himmelskomik, der Kreuzweg Jesu war nicht nur ein historisches Ereignis, sondern wird jeden Tag neu gegangen. Und das Kreuz tragen heute meist die Kinder.

Das Ebola-Virus

Forscher entdeckten das Ebola-Virus erstmals 1976 in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) an einem Fluss, der Ebola heißt. 55 Dörfer waren betroffen, von 318 infizierten Menschen starben 280. Der exakte Übertragungsweg ist bis heute ungeklärt, jedoch gilt der Kontakt mit infizierten, kranken oder toten Wildtieren als gesicherter Ansteckungsherd, wozu auch der Verzehr von "Buschfleisch" gehört.

Von Mensch zu Mensch erfolgt die Infektion dann über Körperflüssigkeiten jedweder Art. Nach 1976 in Afrika aufgetretene Ebola-Epidemien waren räumlich und zeitlich stets begrenzt. Die neuerliche Seuche begann, so das "New England Journal of Medicine", Anfang Dezember 2013 mit einem zweijährigen Mädchen in einem Dorf Guineas.

Die aktuelle Ebola-Epidemie gilt als die bisher verheerendste und ist, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO), "außer Kontrolle" geraten. Im schlimmsten Szenario wird bis Ende 2014 mit knapp 300 000 Opfern gerechnet.

Spendenkonten

Wer Bruder Lothar Wagner im Kampf gegen Ebola unterstützen will, kann spenden an:

  • Don Bosco Mondo e.V., Pax-Bank, Konto: 304 050 6070, BLZ: 37060193.

Weitere Spenden-Möglichkeiten:

  • Ärzte ohne Grenzen, Bank für Sozialwirtschaft, Konto: 97 0 97, BLZ: 370 205 00
  • German Doctors e.V., EKK-Bank, Konto 488 888 0, BLZ: 520 604 10
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