Weltwirtschaft EU unter Druck: Politiker fordern in Davos schnelle Lösungen

Davos · Flüchtlingskrise, Schuldenprobleme und der drohenden Abschied Großbritanniens - Europas Zukunft erscheint so unsicher wie lange nicht. Die Sorgen beim Weltwirtschaftsforum vor einem Auseinanderbrechen der EU sind groß. Die Politik ringt um Lösungen.

 Passanten vor dem Kongresszentrum in Davos.

Passanten vor dem Kongresszentrum in Davos.

Foto: Laurent Gillieron

Im Ringen um die Zukunft Europas wächst der Zeitdruck. Der niederländische Ministerpräsident und derzeitige EU-Ratsvorsitzende Mark Rutte warnte beim Weltwirtschaftsforum in Davos vor schweren Konsequenzen, wenn Europa die Flüchtlingskrise nicht rasch in den Griff bekomme.

Dies müsse in den nächsten sechs bis acht Wochen gelingen, um einen völligen Zusammenbruch des Schengen-Systems offener Grenzen zu verhindern. Derweil machte der britische Premierminister David Cameron Druck für eine Einigung über eine EU-Reform im Februar.

Wenn beim nächsten EU-Gipfel "ein guter Deal auf dem Tisch liegt, nehme ich ihn", sagte der britische Regierungschef beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Dann werde er auch zum bevorstehenden EU-Referendum mit all seiner Kraft für einen Verbleib Großbritanniens in der Gemeinschaft kämpfen. Falls es aber keine Einigung gebe, schließe er nichts aus. Bis spätestens Ende 2017 sollen die Briten in einem Referendum darüber entscheiden, ob sie weiter in der EU bleiben wollen.

"Wir haben gute Fortschritte gemacht", sagte Cameron zu den bisherigen Gesprächen über eine EU-Reform. "Aber wir sind sicherlich noch nicht am Ziel." Zugleich bekräftigte er seine Reformforderungen. Heikelster Punkt: Migranten aus der EU sollen bestimmte staatliche Zuschüsse künftig erst nach vier Jahren erhalten. Der Druck durch die Migration in Großbritannien sei zu groß, sagte Cameron.

Um die Massenflucht nach Europa zu stoppen, forderte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen Marshallplan für Syriens Nachbarländer. Es müsse erheblich mehr Geld zur Versorgung von Kriegsflüchtlingen im Nahen Osten bereitgestellt werden. Dies werde Europa zwar etliche Milliarden mehr als bisher kosten, aber es sei dringend nötig.

Der Streit in der EU über Verteilungsmechanismen für Flüchtlinge habe sich als fruchtlos erwiesen, sagte Schäuble. Deshalb plädiere er für eine "Koalition der Willigen" - wer Geld geben könne zur Versorgung von Flüchtlingen in deren Region, der solle dies tun. Deutschland habe dafür derzeit mehr finanziellen Spielraum. "Ich werbe in meinem Land dafür, dass wir alles, was wir an Spielraum haben, mit anderen Europäern zusammen in die Region investieren", sagte der Minister.

Ratspräsident Rutte prophezeite, dass die Flüchtlingszahlen bald wieder dramatisch steigen. "In den ersten drei Wochen dieses Jahres sind 35 000 Menschen von der Türkei aus über das Meer nach Griechenland gekommen, im gesamten Januar des vergangenen Jahres waren es nur 1600. Wenn das Frühjahr kommt wird sich die Flüchtlingszahl vervierfachen", sagte er. "Als Europäische Union können wir - was die Niederlande, Deutschland und andere Länder betrifft - derartige Zahlen nicht länger verkraften."

Dringend nötig sei es, das Abkommen zwischen der EU und der Türkei umzusetzen. Die EU hat der Regierung in Ankara drei Milliarden Euro für Flüchtlingshilfe in Aussicht gestellt, damit sie Migranten nicht länger in Richtung Europa ziehen lässt.

Rutte forderte auch raschere Fortschritte beim Aufbau von Registrierungszentren, den sogenannten Hotspots, für ankommende Migranten in Italien und Griechenland. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras rief zu größerer europäischer Unterstützung seines Landes in der Flüchtlingskrise auf. Zugleich seien die Folgen der Finanzkrise immer noch schwerwiegend.

Pessimistisch äußerte sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu über die Zukunft Syriens. Das Nachbarland werde sich auf Dauer nicht als ein Staat halten können. Im besten Fall sei eine "leichte Balkanisierung" Syriens zu erwarten. Für die gefährlichsten Kräfte weltweit hält der Politiker die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und trotz des Atomabkommens weiter den Iran.

"Beide wollen erst den Nahen Osten dominieren und dann das, was darüber hinausgeht", sagte Netanjahu. So strebe Teheran auch nach der Vereinbarung mit den Weltmächten weiter nach dem Bau einer Atombombe. "Ich hoffe, dass sich letztlich herausstellen wird, dass ich mich geirrt habe. Ich wäre der glücklichste Mensch - aber ich bezweifele, dass es so kommt."

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