Experten in der Evangelischen Akademie "Europa muss legale Fluchtwege zulassen"

BONN · Bricht Europa angesichts der Flüchtlingsströme auseinander?, fragte Tagungsleiter Jörgen Klußmann bei der Podiumsdiskussion in der Evangelischen Akademie im Rheinland.

Und die Vertreter der Landespolitik und der Kirchenleitung beantworteten sie mit einem klaren Nein. "Die militärische Bekämpfung von Menschenschmuggel und die Abschiebung von Flüchtlingen wird letztlich niemandem helfen, weil Europa damit für die Verhandlung mit anderen Ländern seine Glaubwürdigkeit zu verlieren droht", warnte Doris Peschke, Generalsekretärin der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (KKME). "Europa muss unbedingt legale Fluchtwege zulassen."

Was auch Marc Herter, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion in NRW, so sah. Wenn gemeinsame Lösungswege innerhalb der EU scheiterten, müsse eine "Koalition der Willigen" dafür verbindliche Strategien entwickeln. Herter berichtete von einer Informationsreise zu Flüchtlingslagern in Griechenland und Italien. "Seitdem fühle ich Demut und warne davor, Fluchtbegründungen infrage zu stellen."

Wer könne nicht auch Flüchtlingsfamilien verstehen, die nicht länger in Lagern der Türkei bleiben wollten, weil ihre Kinder dort keine Schule besuchen dürften, mahnte der Politiker. Seine Fraktion werde deshalb beim Bund für die in NRW eingeführte Einreisemöglichkeit von Kontingentflüchtlingen werben. "Das ist der Fluchtweg des sicheren Korridors, den wir uns aus politischen und ethischen Gründen wünschen."

Das Publikum nahm Herter beim Wort und bezog das Thema auf die Flüchtlingshilfe vor Ort. Warum mache es die Landesregierung dann den Freiwilligeninitiativen so schwer, die Verpflichtungserklärungen für so ins Land gekommene Menschen zu unterschreiben? Nach der umstrittenen, aber auch in NRW verbindlichen Rechtsauffassung des Bundes werden Helfer, die Flüchtlingen durch eine Verpflichtungserklärung die legale Einreise nach NRW ermöglicht haben, auch nach vielen Monaten weiter zur Kasse gebeten: Helfer berichteten, auch nachdem ihre Schützlinge Asyl erlangt hätten, hätten sie weiter zahlen müssen. "Warum wirft die Politik uns also Knüppel zwischen die Beine? Um die Zahl derer, die praktisch helfen wollen, zu minimieren?"

Der SPD-Geschäftsführer versprach, sich um das Problem zu kümmern. Redner im Publikum warfen hier auch der Evangelischen Landeskirche Untätigkeit zu. "Wir fühlen uns in den vielen bürokratischen Fragen auch von der Kirche alleingelassen."

Jens Sannig, Vorsitzender des kirchlichen Ausschusses für öffentliche Verantwortung, machte ein weiteres Fass auf: das der martialischen Außengrenzen Europas. "Der Sieben-Meter-Zaun mit Rasierklingen in Marokko, auf den eine deutsche Firma so stolz ist, tötet jährlich unzählige Menschen", berichtete Sannig, der eine kirchliche Hilfe für Marokko koordiniert. Für 800 Millionen Euro der EU mache das dortige Militär "die Drecksarbeit für uns". Er warnte davor, dass gleiche Menschenrechtsverletzungen zur Abwehr von Flüchtlingen demnächst in der Türkei zugelassen würden.

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