Kontakt zum iranischen Präsidenten Europas Iran-Politik in der Kritik

Teheran/Istanbul · Der französische Präsident Emmanuel Macron hat mit dem neuen iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi telefoniert. Israel und die iranische Opposition empört über die Kontakte zum „Metzger von Teheran“.

Anhänger der militanten iranischen Oppositionsbewegung Volksmudschahedin protestieren in Stockholm. Dort steht ein Iraner wegen Kriegsverbrechen vor Gericht, bei denen auch Präsident Raisi eine Rolle gespielt hat.

Anhänger der militanten iranischen Oppositionsbewegung Volksmudschahedin protestieren in Stockholm. Dort steht ein Iraner wegen Kriegsverbrechen vor Gericht, bei denen auch Präsident Raisi eine Rolle gespielt hat.

Foto: AP/Stefan Jerrevang

 Europa sucht Kontakt zum neuen iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi – und handelt sich damit den Vorwurf ein, einen Massenmörder zu hofieren. Brüssel schickte vergangene Woche einen hochrangigen Vertreter zu Raisis Amtseinführung in Teheran, diese Woche telefonierte der französische Präsident Emmanuel Macron als erster westlicher Staatschef mit dem neuen iranischen Präsidenten.

Die EU will erreichen, dass Raisi möglichst bald die unterbrochenen Wiener Verhandlungen über das Atomabkommen von 2015 wieder aufnimmt. Doch Israel und die iranische Opposition kritisieren, Europa hofiere einen Mann, der Blut an den Händen habe. Das iranische Volk werde den „historischen Verrat“ Europas niemals vergessen, schrieb die prominente iranische Oppositionsaktivistin Masih Alinejad nach Macrons Telefonat mit Raisi auf Twitter. Alinejad lebt im amerikanischen Exil. Weil sie nach Ermittlungen der US-Justiz von iranischen Agenten entführt werden sollte, steht die 44-jährige in New York unter Polizeischutz. Macron habe einem „Massenmörder“ zum Amtsantritt gratuliert, kritisierte Alinejad. Sie meinte damit Raisis mutmaßliche Beteiligung an der Massenhinrichtung von bis zu 5000 Häftlingen im Iran im Jahr 1988. Raisi und andere iranische Behördenvertreter hätten süßes Gebäck gegessen, während sie Todesurteile unterschrieben, sagte ein Augenzeuge der Hinrichtungen nach einem Bericht der britischen Zeitung „Sunday Express“.

Prozess gegen einen ehemaligen Mitarbeiter der iranischen Staatsanwaltschaft

In Schweden begann am Dienstag ein Prozess gegen einen ehemaligen Mitarbeiter der iranischen Staatsanwaltschaft, der wie Raisi an dem Massaker 1988 beteiligt gewesen sein soll. Raisi hat die Hinrichtungen als notwendig gerechtfertigt. 

Europa legitimiere die Macht des „Metzgers von Teheran“, kritisiert auch Israel. Außenamtssprecher Lior Haiat schrieb auf Twitter, die Entsendung des EU-Atomunterhändlers Enrique Mora zur Feier von Raisis Amtsübernahme vorige Woche sei ein Beispiel für „Schmeichelei und Unterwürfigkeit“. Der Besuch fiel mit dem Streit um den Drohnenangriff auf den Tanker „Mercer Street“ vor der Küste von Oman zusammen. Bei dem Angriff auf das Schiff, das für die Firma eines israelischen Unternehmers fährt, kamen zwei Menschen ums Leben. Israel, die USA und Großbritannien geben dem Iran die Schuld, doch Teheran weist dies zurück. 

Im EU-Parlament regt sich ebenfalls Unmut über den europäischen Kurs. EU-Vertreter Mora saß bei der Feier zu Raisis Amtsübernahme in Teheran hinter Spitzenvertretern der radikal-islamischen Gruppen Hisbollah und Hamas, die von der EU als Terrororganisationen eingestuft werden. Die EU betonte trotz der Einwände, diplomatische Kontakte mit der neuen iranischen Führung seien wichtig.

Mora traf in Teheran den designierten neuen iranischen Außenminister Hossein Amir-Abdollahian. Der 57-Jährige ist wie Raisi ein Hardliner und hat enge Verbindungen zur Revolutionsgarde, die den iranischen Einfluss im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen steuert. 

EU will Raisis Regierung zu einer Wiederaufnahme der Wiener Atomgespräche bewegen

Oberstes Ziel der EU ist es, Raisis Regierung zu einer raschen Wiederaufnahme der Wiener Atomgespräche zu bewegen. Die Verhandlungen über eine Wiederbelebung des Atomvertrags von 2015 waren nach Raisis Wahlsieg im Juni unterbrochen worden. Angestrebt wird eine Einigung, unter der Teheran zu den Vorschriften des Vertrages zurückkehrt, etwa bei der Beschränkung der Urananreicherung, und dafür mit einem Abbau amerikanischer Sanktionen belohnt wird. 

Raisi bekundete laut iranischen Staatsmedien im Telefonat mit Macron sein Interesse an baldigen Atomgesprächen – der neue Präsident weiß, dass er ohne eine teilweise Aufhebung der Sanktionen die Wirtschaft seines Landes nicht flott bekommen kann. Welche Kompromisse er dafür eingehen will, ist aber offen.

Bei seiner Amtsübernahme erklärte Raisi, er werde sich zwar um eine Aufhebung der US-Sanktionen bemühen, aber nicht so weit gehen, sich dem „Willen der Ausländer“ zu unterwerfen, um den Lebensstandard der Iraner zu erhöhen. Auch denkt Raisi offenbar nicht daran, die aggressive Außenpolitik des Iran zu überdenken. Sein Land werde an der Politik der „Abschreckung“ in der Region festhalten, sagte er Macron. 

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