Kommentar zum Brexit Falsches Symbol

Meinung | Brüssel · Die Symbolik ist unverkennbar: An diesem Montag empfängt der italienische Premier Matteo Renzi Bundeskanzlerin Angela Merkel und den französischen Präsidenten François Hollande auf der Insel Ventotene.

Jene Insel, die dem faschistischen Regime von Benito Mussolini als Verbannungsort für seine Gegner diente – unter anderem für einen der geistigen Gründerväter der EU, Altiero Spinelli. Gemeinsam mit Ernesto Rossi und Eugenio Colorni verfasste Spinelli dort das Manifest von Ventotene, in dem er die Krise der Nationalstaaten beschrieb – und als Lösung den europäischen Föderalismus vorschlug. Die heutige Europäische Union könnte nicht weiter davon entfernt sein, scheint es.

Nach dem Einschnitt, den das britische Referendum vom 23. Juni für die EU bedeutet, fehlt der EU ein Rezept. Zwar hatten die 27 übrigen Staats- und Regierungschefs gegenüber Großbritannien bei ihrem Gipfel Ende Juni Geschlossenheit demonstriert – Vorgespräche werde es keine geben, verhandelt werde erst, wenn London den Austrittswunsch offiziell macht und damit das Verfahren nach Artikel 50 in Kraft setzt.

Weniger Einigkeit, wenn nicht Ratlosigkeit herrschte hingegen darüber, wie es mit der EU weitergehen soll. Welche Botschaft wird am 16. September beim EU-Gipfel in Bratislava verkündet? Eine des geeinten Europas, das auch ohne Großbritannien seinen Weg zu einer „immer enger werdenden Union der Völker“ weitergeht, wie in der Präambel der EU-Verträge beschrieben? Oder die einer Gemeinschaft, die kürzer tritt, dem Konzept „weniger ist mehr“ folgt?

Darüber, ob sich die Europäische Union neu erfinden muss, kann man streiten. Klar aber ist, dass sie Antworten liefern muss auf die Krisen, die sie immer noch im Griff haben – wie die Nachwehen der Wirtschafts- und Finanzkrise, aber auch die Flüchtlingskrise, die mit dem Schock über den Ausgang des britischen Volksentscheids etwas in den Hintergrund gerückt ist. Von jener Einigkeit, die gegenüber Großbritannien gezeigt wurde, fehlt in dieser Frage jede Spur.

Ein Umdenken innerhalb der Europäischen Union ist zweifellos von Nöten. Denn wenn schon die Staats- und Regierungschefs in diesen Fragen nicht demonstrieren können, dass sie sehr wohl dazu in der Lage sind, an einem Strang zu ziehen, wie sollen die Bürger dieser Union dann an die Sinnhaftigkeit dieser Gemeinschaft glauben? Symbolträchtige Treffen wie die der drei Staats- und Regierungschefs auf Ventotene sollen Einigkeit demonstrieren. Stattdessen bieten sie Kritikern eine neue Angriffsfläche – für ihre Argumente eines undemokratischen Europas, in dem die Großen die Kleinen überstimmen und den Takt in der EU angeben.

Lösungen mögen unter 27 schwieriger zu finden sein als unter Dreien. Das Misstrauen der 24 nach einem solchen Treffen dürfte aber eher größer sein – die Hürden für eine gemeinsame Lösung, der alle Mitgliedstaaten zustimmen, höher. Ein Alleingang der Gründerstaaten ist gerade jetzt das falsche Symbol.

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