Kommentar zum deutsch-türkischen Verhältnis Foulspiel

Meinung | Bonn · Der Vorgang um die angeblich versehentliche Indiskretion über regierungsinterne Einschätzungen zur Türkei zeigt, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen der deutschen und der türkischen Regierung derzeit ist.

 Das deutsch-türkische Verhältnis ist zerrüttet.

Das deutsch-türkische Verhältnis ist zerrüttet.

Foto: dpa

Irgendjemand in der Bundesregierung wollte der türkischen Regierung eine Botschaft übermitteln, die sich auf normalen Wegen offenbar nicht mehr sagen lässt. So muss man den Vorgang um die angeblich versehentliche Indiskretion über regierungsinterne Einschätzungen zur Türkei wohl verstehen. An Zufälle oder Büroversehen mag da glauben, wer möchte. Hier scheinen Kanzleramt, Innenministerium und Außenministerium doch eher mit verteilten Rollen am gleichen Thema gearbeitet zu haben: Dem Partner mal die Faust zu zeigen, um sie gleich wieder einzupacken.

Der Vorgang zeigt, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen der deutschen und der türkischen Regierung derzeit ist. Offenbar ist man es in Berlin leid, dass der türkische Präsident Erdogan jede Gelegenheit nutzt, Konflikte mit der deutschen Regierung für innenpolitische Auseinandersetzungen zu instrumentalisieren. Anscheinend funktionieren aber die diplomatischen Kanäle nicht mehr, auf denen normalerweise solche Streitereien beigelegt werden. Das ist nicht überraschend, aber ein Alarmsignal.

Die Türkei mag derzeit ein schwieriger Partner sein, aber sie ist nach wie vor ein Partner - und ein wichtiger außerdem. Das Land ist in der Nato, es ist wirtschaftlich nah an Europa herangerückt und es ist durch die starke türkische Minderheit – ob man möchte oder nicht – eng mit Deutschland verbunden.

Das Land stabilisiert die völlig desolate Sicherheitslage in der Region. Es hat einen wesentlichen Schlüssel für den Umgang mit Flüchtlingen in der Hand. Wenn es zu einer neuerlichen Zuwanderung ähnlich der im vergangenen Sommer käme, dann könnte niemand mehr für die Stabilität der Europäischen Union und vieler ihrer Mitgliedsstaaten garantieren.

Mit der Art und Weise, wie die Türkei Sicherheit und Stabilität in der Region herstellt, kann eine demokratische Regierung wie die deutsche nicht einverstanden sein. An der Bedeutung des Partners ändert das jedoch nichts. Denn was geschieht, wenn sich an diesen derzeit wenigstens annähernd stabilen Verhältnissen etwas ändert?

Die Türkei selbst gerät bei all den kleinlichen Debatten leicht aus dem Blick. Erdogan fühlt sich von seinen Partnern offenbar im Stich gelassen. Er scheint nicht so stark zu sein, wie seine Politik nach dem Motto „Viel Feind, viel Ehr'“ Glauben machen kann. Warum sonst sucht er die Nähe zu Russland, einem für die Türkei sehr schwierigen Nachbarn und unzuverlässigen Partner?

Die deutsche Regierung wird sich nach ihrem politischen Foul grundsätzlich Gedanken machen müssen, was sie wichtiger findet: Einen konzilianten Erdogan, der sich an demokratische Spielregeln hält? Oder die Stabilität in einer Region vor dem Kollaps? Das ist eine böse Alternative. Sie verlangt am Ende Kompromisse, die niemand will. Aber so ist Politik manchmal.

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