Kommentar zum Ende des INF-Vertrages Gefährliche Spirale

Meinung | Berlin · Ein wichtiger Abrüstungsvertrag zwischen Russland und den USA läuft aus. Die Gefahr besteht, dass die Rüstungsspirale durch den Vertragsausstieg wieder angetrieben wird, kommentiert Holger Möhle.

 Der INF-Vertrag von 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion verbietet landgestützte Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern.

Der INF-Vertrag von 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion verbietet landgestützte Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern.

Foto: Alexander Zemlianichenko/AP

Sechs Monate Karenzzeit haben auch nicht mehr geholfen. Ein halbes Jahr durfte die internationale Staatengemeinschaft seit Anfang Februar noch hoffen, dass im Ringen der Weltmacht USA mit der Großmacht Russland die Vernunft siegt, eines der weltweit wichtigsten Rüstungskontrollabkommen zu erhalten. Politische Sturheit, Kraftmeierei und Ignoranz haben diese Hoffnung am Ende zerstört. Vor allem, weil sich Russland weigerte, seine neuen Marschflugkörper einzumotten und zu zerstören, die nach westlicher Überzeugung die erlaubte Reichweite von 500 Kilometern überschreiten.

An diesem Freitag läuft der INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) zur Kontrolle atomarer Mittelstreckenraketen zwischen den USA und Russland aus – 32 Jahre nach der Unterzeichnung durch die damaligen Präsidenten Ronald Reagan und Michail Gorbatschow. Beide Vertragspartner zeigen auf den jeweils anderen: Ihr seid schuld! Sicher ist: Die Welt wird ohne diesen Rüstungskontrollvertrag nicht sicherer. Eher im Gegenteil. Wo nicht mehr kontrolliert wird, können sich freie Kräfte leicht entfalten. Das Ziel einer Welt tatsächlich ohne Atomwaffen – schöner Traum – rückt mit dem Ende dieses bedeutenden Kontrollabkommens in weite Ferne.

Die Gefahr besteht, dass die Rüstungsspirale durch den Vertragsausstieg wieder angetrieben wird. Doch noch mehr Waffen braucht diese Welt für ihre Kriege nicht, schon gar nicht mehr Atomwaffen. Sollten die USA eines Tages tatsächlich neue landgestützte Raketen in Europa stationieren wollen, könnte sehr kalter Wind aus Moskau ins Baltikum wehen, wo die Nato ihre Ostflanke mit Truppen schützt und Russland vor Aggressionen abschrecken will. Eine Stationierung neuer Mittelstreckenraketen gar in Deutschland würde in der Bevölkerung auf breiten Widerstand stoßen und wäre ein ernsthafter Testfall für jede Koalition.

Wenn die Statik internationaler Rüstungskontrolle mit dem Ende des INF-Vertrages ins Wanken gerät, könnte sich dies auch auf die Zukunft des Start-Vertrages zur Verringerung strategischer Waffen und atomarer Langstreckenraketen auswirken, der 2021 ausläuft. Washington zeigt keine allzu große Eile, über ein New-Start-Abkommen zu verhandeln, Russland wiederum hat schon signalisiert, dass nun auch dieser Vertrag zur Disposition steht. Ein Rüstungskontrollvertrag ist ab sofort also Geschichte, ein zweiter in Gefahr. Das sind keine beruhigenden Aussichten. Die Regierungen der USA und Russland sollten jetzt eines tun: miteinander reden.

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