Kommentar zum anstehenden EU-Türkei-Gipfel Gemischte Gefühle

Meinung · An diesem Montag treffen im bulgarischen Warna beim Spitzentreffen die EU und der türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan zusammen. Jedoch: Die EU und die Türkei sind inzwischen weit auseinandergedriftet.

Mit gemischten Gefühlen sehe er dem Spitzentreffen der EU mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan an diesem Montag im bulgarischen Warna entgegen, sagt Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Auf türkischer Seite ist es ähnlich. Das Treffen von Warna war ursprünglich als Beginn einer Wiederannäherung gedacht. Doch die EU und die Türkei sind inzwischen so weit auseinandergedriftet, dass es bei dem Gipfel nicht mehr darum gehen kann, ein besseres Verhältnis zu bauen, sondern nur noch darum, einen weiteren Niedergang abzuwenden.

Einfach getrennte Wege zu gehen, kommt für EU und Türkei nicht in Frage. Die Türkei braucht die EU als Handelspartner, und die Europäer brauchen die Türken in der Flüchtlingspolitik. Alles, was über diese Kerninteressen hinausgeht, sorgt für Streit: Die Türkei stört die Erdgassuche des EU-Mitglieds Zypern im Mittelmeer und legt sich mit Griechenland wegen der strittigen Grenzziehung in der Ägäis an. Erdogan lässt seine Armee in Syrien einmarschieren und wischt die Bedenken der Europäer vom Tisch. Europa wirft Ankara die massenweise Verletzung von Menschenrechten seit dem Putschversuch von 2016 und ein Abgleiten in die Diktatur vor - Erdogan vermisst die Solidarität seiner westlichen Partner bei der Verfolgung der Putschisten.

Persönliche Animositäten kommen hinzu. Dass Erdogan nicht gleichbedeutend mit der Türkei sei, ist ein Satz, den man in Europa häufig hört. Andersherum nimmt Erdogan die Kritik aus der EU an seiner Politik sehr persönlich - seine Nazi-Vergleiche waren ein Zeichen dafür.

Mehrfach haben beide Seiten ihre Entschlossenheit bekundet, rhetorisch abzurüsten und wieder aufeinander zuzugehen. Doch das ist leichter gesagt als getan: Auf beiden Seiten ist scharfe Kritik am jeweils Anderen innenpolitisch populär, und Wahlkampf ist immer irgendwo. Zudem steuert die Türkei im Nahen Osten, im Verhältnis zu Russland und im Kaukasus längst einen eigenen Kurs.

In Warna bietet sich jetzt zumindest die Chance, das zerrüttete Verhältnis auf niedrigerer Ebene zu stabilisieren. Von einem türkischen EU-Beitritt redet schon lange niemand mehr. Statt dessen sollten sich Türken und Europäer auf das Geben und Nehmen im Spiel der jeweiligen Interessen konzentrieren.

Ein solcher europäisch-türkischer Realismus würde vor allem dafür sorgen, dass beide Seiten miteinander im Gespräch und im Geschäft bleiben. Möglicherweise lässt sich dann die eine oder andere Krise leichter entschärfen - besonders, wenn die Türkei weiß, dass die Wirtschaftsbeziehungen mit der EU an klare Kriterien geknüpft sind. Das Treffen in Warna wird keinen grundsätzlichen Neubeginn einer engen europäisch-türkischen Partnerschaft einleiten können. Doch es kann die Erosion der Beziehungen stoppen - und das wäre in diesen Zeiten schon ein Erfolg.

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