Vor dem Konklave Gianluigi Nuzzi: "Die Angst vor der Wahrheit ist riesig"

Rom · Am Dienstag beginnt in Rom das Konklave. In den Gesprächen der Kardinäle war die Reform der Kurie Thema. Der Journalist Gianluigi Nuzzi veröffentlichte die Dokumente, die der Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, Benedikt XVI. gestohlen hatte.

Sie haben den "Vatileaks"-Skandal ausgelöst. Es ging um Korruption, Missmanagement, Günstlingswirtschaft. Wie muss man sich die Verhältnisse in der Kurie vorstellen?
Gianluigi Nuzzi: Es gibt verschiedene Machtgruppen und Interessen, die sich teilweise bekämpfen, aber auch überlagern. Man sollte meinen, solche Machtspiele hätten in der Kirche nichts verloren. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es gibt großen Ehrgeiz, Karrieristen, Verschwörungen, krumme Geschäfte und Korruption. Zuletzt war auch noch von einer Homosexuellen-Lobby die Rede.

Sind solche Gerüchte ernst zu nehmen?
Nuzzi: Durchaus, homosexuelle Beziehungen sind im kirchlichen Milieu ein Element, das Abhängigkeiten und Erpressungen begünstigen kann. In der Kurie wird das übrigens alles sehr relativ gesehen.

Was meinen Sie damit?
Nuzzi: Paolo Gabriele, der ehemalige Kammerdiener Benedikts XVI., erzählte mir von einem Kardinal und sagte über ihn, der hätte "das Laster". Ich fragte ihn, was er denn damit meine. Paolo sagte, der Kardinal habe sexuelles Interesse an Kindern. Das klang so, als ob dieses "Laster" in der Kurie weit verbreitet sei. Paolo sprach darüber in einem Ton, als ob das nichts Besonderes sei, sondern durchaus vorkomme. Das macht schon sehr nachdenklich.

Ein anderer Vorwurf ist der der Korruption in der Kurie. Man hat aber nie Konkretes gehört.
Nuzzi: Doch, diese Vorwürfe sind sehr konkret. Da geht es um Firmen, die Aufträge aus dem Vatikan bekommen und zu diesem Zweck Kirchenfunktionäre bestechen, Mitarbeiter der Behörden, die Entscheidungen fällen oder steuern können. Den Vorwurf hatte Bischof Carlo Maria Viganò, Generalsekretär des Governatorats, also der Staatsverwaltung des Vatikan, erhoben. Viganò nannte auch Vor- und Nachnamen. Ich habe mich diesen Dingen in meinen Büchern nicht im Detail gewidmet, weil das zu weit geführt hätte. Aber das ist sehr konkret.

Viganò wurde als Nuntius nach Washington wegbefördert, er ist eine der Schlüsselfiguren des "Vatileaks"-Skandals. Wie operieren die Lobbys im Vatikan?
Nuzzi: Diese sogenannten Seilschaften sind Macht- und Interessengruppen in der Kurie. Einer der stärksten Pole war Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Für ihn ist Macht ein Selbstzweck, sie ist sein einziges Ziel. Bertone hat viele Kuriale um sich geschart, die seinen Einfluss festigten.

Wer steckt hinter den Lobbys in der Kurie?
Nuzzi: Es gibt das Bertone-Lager. Es gibt die Diplomaten, die alle aus der vatikanischen Diplomatenschule hervorgegangen sind. Ihr Chef ist Sodano. Dann gibt es die Genua-Connection, zu denen gehören Kardinal Mauro Piacenza, er wird als künftiger Kardinalstaatssekretär gehandelt, und Bischof Ettore Balestrero, der gerade als Nuntius nach Kolumbien entsendet wurde. Die Gruppen haben verschiedene Vorstellungen von Politik, von der katholischen Lehre und sie ringen um Einfluss. Auch Gruppen wie Opus Dei, die Legionäre Christi oder die Laienbewegung Comunione e Liberazione sind einflussreich.

Auf welches Milieu sind Sie im Vatikan gestoßen?
Nuzzi: Das ist eine stumme Welt, in der die Leute große Furcht haben, zu sprechen. Es ist eine bedrückende Atmosphäre, alles wird kontrolliert. Die Menschen in diesem Staat leben wie unter einer großen Haube. Es gibt keine Informationen. Transparenz ist ein Fremdwort.

Ist das nicht klar? Der Vatikan versteht sich ja auch nicht als demokratischer Rechtsstaat.
Nuzzi: Der Vatikan ist eine absolute Monarchie. Aber in der Welt gibt es nun mal den Fortschritt. Er betrifft auch die Information, und die muss frei zirkulieren können. Der Vatikan geht nur dann an die Öffentlichkeit, wenn Bischöfe oder Kardinäle nominiert werden. Alles andere bleibt im Dunkeln. Das hat man beim Fall Williamson gesehen. Der rechtsradikale Bischof sollte rehabilitiert werden, es kam zu Spannungen mit der Bundesrepublik. Aber niemand hat verstanden, was hinter den Vatikanmauern eigentlich passiert.

Warum ändert sich das nicht? Eine gute Pressearbeit könnte der Kirche ja durchaus nützen.
Nuzzi: Ich habe schon viele investigative Recherchen hinter mir, auch in Bereichen wie Politik oder Mafia. Nirgendwo ist die Angst, die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen, so groß wie im Vatikan.

Wie wirkt der "Vatileaks"-Skandal auf das Konklave?
Nuzzi: Die Kardinäle wollen genau wissen, was passiert ist. Sie wollen den Inhalt des Dossiers erfahren, das die von Joseph Ratzinger eingesetzte Kardinalskommission zu den Verhältnissen in der Kurie angefertigt hat. Vor allem diejenigen Kardinäle wollen Klarheit, die aus dem Ausland kommen und die Kurie nicht gut kennen. Das Bedürfnis nach Aufklärung ist jetzt gewaltig.

Wie wird "Vatileaks" die Wahl des neuen Papstes beeinflussen?
Nuzzi: Wenn ich als armer Sünder einen bescheidenen Wunsch äußern dürfte, dann würde er so lauten: Ich wünsche mir, dass weder der Papst noch der Kardinalstaatssekretär Italiener sein werden. Die italienischen Kardinäle sind allesamt viel zu sehr verstrickt in den Sumpf.

Zur Person

Gianluigi Nuzzi, Jahrgang 1969, verfolgt Polit- und Finanzskandale in Italien. Er hat eine nach ihm benannte TV-Sendung und schreibt im konservativen "Libero". Bekannt wurde er durch Vatikan-Enthüllungen. 2010 erschien "Vatikan AG", 2012 "Seine Heiligkeit - Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI."