EU-Türkei-Abkommen Grünes Licht aus Brüssel?

Brüssel · Die EU erlaubt am Mittwoch vermutlich die visafreie Einreise für alle Türken. Rund 60 Euro müssen die Menschen vom Bosporus derzeit für ein Visum zahlen.

 Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (r.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (r.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Foto: picture alliance / dpa

Noch ist nicht wirklich sicher, ob die Brüsseler EU-Kommission heute über ihren Schatten springt und der Türkei einen großen Tag beschert. „Die Chancen stehen gut“, hieß es gestern in Brüssel. Mit einem positiven Bescheid könnte die EU-Behörde 36 Jahre nach Einführung der Visumspflicht für Türken in Deutschland den lästigen Formalitäten ein Ende bereiten.

Rund 60 Euro müssen die Menschen vom Bosporus derzeit für ein Visum zur Einreise in die EU zahlen – zusätzlich zu den etwa 200 Euro für einen Reisepass, der den biometrischen Anforderungen der europäischen Sicherheitsbehörden entspricht. Ein Luxus, den sich nur zehn Prozent der Türken leisten können. „Es gibt kaum Pässe, viele werden ohnehin nicht kommen“, sagt der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU).

Doch noch ist es nicht so weit. Bis zum Abend hatte die Türkei „65 bis 68“ (Brok) der geforderten 72 Bedingungen erfüllt. In den vorigen Tagen entfaltete die Administration von Regierungschef Ahmet Davutoglu großen Eifer bei der Annahme der entsprechenden Gesetze, von denen einige die Türkei zu einem Kurswechsel zwangen. Erst am Montag hakte Ankara die besonders umstrittene Nummer 22 ab, als man den Bürgern aus „allen, ich wiederhole allen 28 EU-Mitgliedstaaten“ die Einreise in die Türkei erlaubte, wie es Kommissionssprecher Margaritis Schinas ausdrückte. Die Sensation versteckt sich zwischen den Zeilen: Nach vielen Jahren der politischen Isolation dürften auch die Bürger der geteilten Mittelmeerinsel Zypern an den Bosporus reisen.

Doch bis zuletzt gab es Probleme beim Datenschutz und der Zusammenarbeit zwischen europäischen und türkischen Sicherheitsbehörden, auf deren Unabhängigkeit man in Brüssel pocht. Damit will die EU erreichen, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan die Antiterrorgesetze und Polizeieinheiten nicht länger nutzt, missliebige Journalisten mundtot zu machen.

„Wir werden bis zu diesem Mittwoch keine Modelldemokratie aus der Türkei machen“, hatte erst vor wenigen Tagen ein Kommissionsbeamter gesagt. Aber die EU-Behörde will die Chancen nutzen, die der Katalog der Bedingungen für eine visafreie Einreise bietet, um das Land zu Reformen zu zwingen. „Bei der Prüfung der Bedingungen, die die Türkei erfüllen muss, darf es keine politischen Rabatte geben“, hatte die Chefin der CSU-Gruppe im Parlament, Angelika Niebler, gestern noch einmal unterstrichen. Die innere Sicherheit sei „nicht verhandelbar“, sagte auch der mächtige Chef der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion, Manfred Weber.

Wie sich die Kommission heute entscheidet, war gestern noch offen. „Man könnte auch eine Vorbehaltsempfehlung geben, mit der man Ankara beispielsweise weitere 14 Tage Zeit gibt, die noch ausstehenden Konditionen zu erfüllen“, spekulierte Brok. Doch auch er weiß, dass die EU reagieren muss, schließlich gehört die Visaliberalisierung zu den Gegenleistungen, die die 28 Staats- und Regierungschefs dem türkischen Ministerpräsidenten für sein Entgegenkommen in der Flüchtlingsfrage versprochen haben.

Im Übrigen betont die Kommission, dass die Sorge unbegründet sei, dass nach den Flüchtlingen nun die Türken kämen. Die visafreie Einreise erlaube es, 90 Tage zu bleiben. Mit einem dauerhaften Aufenthalt, wie ihn die Niederlassungsfreiheit für EU-Mitglieder garantiert, habe dies nichts zu tun.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Susanne Ebner, London,
zum britischen Asylpakt
Zu kurz gedacht
Kommentar zum britischen Asylpakt mit RuandaZu kurz gedacht
Aus dem Ressort
Kein Skandal
Kommentar zu den TTIP-Geheimpapieren Kein Skandal