Sri Lanka Hungrig nach Versöhnung

Jaffna · Seit 2009 herrscht Frieden auf Sri Lanka. Doch bewältigt ist der Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen nicht.

 Erfolgreiche Zusammenarbeit: Der Singhales Wijaya Kumara (links) und der Tamile Shanmugam Gnanachandran mit Mitarbeiterinnen.

Erfolgreiche Zusammenarbeit: Der Singhales Wijaya Kumara (links) und der Tamile Shanmugam Gnanachandran mit Mitarbeiterinnen.

Foto: Thomas Kelly

Wie ein stummer Zeuge von Tod und Grausamkeit erinnert der zerstörte Wasserturm von Kilinochchi an den Bürgerkrieg von Sri Lanka. 26 Jahre hatten die radikalen Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) vergeblich versucht, sich einen unabhängigen Tamilenstaat im Norden und Osten von Sri Lanka herbeizubomben. Mitte Mai 2009 erklärte der srilankische Präsident Mahinda Rajapaksa die LTTE für besiegt. Ein Diplomat in Colombo beschreibt es anders: „Es war eine militärische Lösung unter Missachtung aller Normen, eine totale Vernichtung des Gegners.“

Wie ein gefällter Riese liegt der Turm auf der Seite, ein Denkmal und zugleich ein Spiegel der Siegermentalität, die Rajapaksa dann zelebrierte: „Wasser, die Quelle des Lebens für die Menschen von Kilinochchi. Zerstört von LTTE-Terroristen im Januar 2009“, heißt es auf einer Info-Tafel. Für viele Menschen in Kilinochchi ist die Wahrheit eine andere: Der Turm sei mehrfach angegriffen worden, erzählen sie, endgültig den Garaus gemacht hätten ihm Regierungstruppen. Versöhnung, Vergangenheitsbewältigung sieht anders aus.

„Der Krieg ist vorbei, aber der Konflikt besteht weiter“, erklärt Jehan Perera, Direktor des Nationalen Friedensrates von Sri Lanka. „Die ethnische Spaltung, die den Konflikt ausgelöst hat, ist noch nicht überwunden.“ Die tiefen Wunden, die der grausam geführte Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen der Tamilen und der Singhalesen geschlagen hat, sind allenfalls oberflächlich verheilt.

Kein Wunder, dass das Misstrauen unter den Bevölkerungsgruppen bei vielen bis heute tief sitzt, auch wenn die Spuren des Krieges kaum noch sichtbar sind. Straßen und Infrastruktur sind bestens instand gesetzt, neue Brücken verkürzen den Weg zur einstigen LTTE-Hochburg Jaffna. Internationale Entwicklungsorganistionen und Geber wie Japan und China haben ganze Arbeit geleistet.

„Das Land hat eine beeindruckende Entwicklung gemacht“, sagt auch Randa Kurieh-Ranarivelo, Landesdirektorin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Colombo. Für Hoffnung hat vor allem der im Januar 2015 gewählte Präsident Maithripala Sirisena gesorgt. Sirisena setzt auf Ausgleich, spricht erstmals von Opfern auf beiden Seiten. Mahinda Samarasinghe, Minister für berufliche Bildung im aktuellen Kabinett und schon unter Rajapaksa Regierungsmitglied, räumt das Versäumnis freimütig ein: „Wir haben 2010 den Bus verpasst. Nach dem Sieg war die beste Gelegenheit zur Friedensbildung und Versöhnung. Das müssen wir jetzt nachholen.“

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit versucht, dabei zu unterstützen. Die Chancen sind gut, glaubt die deutsche GIZ-Chefin im Land: „Unsere Partner sind hungrig nach Versöhnung.“

Shanmugam Gnanachandran, Eigentümer eines kleinen Gewürzhandels aus Kilinochchi, und Wijaya Kumara, Gewürzproduzent aus Matara ganz im Süden des Landes, sind auf diesem Weg bereits ein gutes Stück vorangekommen. 2015 haben sie sich bei einer GIZ-Veranstaltung kennengelernt, die kleine und mittlere Unternehmer aus dem Norden und aus dem Süden zusammenbringt. Am Anfang war die Skepsis groß: „Die im Norden sind doch gefährlich“, habe er früher immer gedacht, erklärt Kumara. Heute sagen beide: „Wir sind wie Brüder oder Verwandte.“ Nur mit der Sprache hapert es noch – nur der Tamile Gnanachandran spricht Singhal.

Die gute Beziehung zwischen Nord und Süd lohnt sich für beide: Gnanachandran kauft bei seinem Partner Gewürze wie Zimt, Nelken, Pfeffer und Kardamom weitaus billiger ein als früher in der nahen Stadt Kilinochchi – trotz des langen Bahntransportes. Sechs Angestellte helfen beim Mischen und Abpacken der Gewürze, das Einkommen hat sich mehr als verdoppelt. Der bescheidene Wohlstand ist unübersehbar: Haus, Motorrad, Fahrrad, Tuktuk, Fernseher – alles ist da. Bei Kumara ist die Gewinnsteigerung nicht ganz so groß, aber auch er ist zufrieden mit dem regelmäßigen Einkommen.

Beide Familien sind inzwischen befreundet und besuchen sich ab und zu. „Wir dürfen nicht mehr von Nord oder Süd reden, sondern davon, dass wir alle Bürger eines Landes sind“, lautet die Botschaft an ihre Kinder. Und Kumara hat sich fest vorgenommen, Tamil zu lernen.

Es mögen nur kleine Schritte auf einem langen Weg sein. Aber immerhin sind bei bisher zwei solcher zweitägiger Treffen von je 30 Unternehmern aus Nord und Süd laut GIZ-Angaben 45 Partnerschaften entstanden.

Die großen Probleme liegen auf politischer Ebene. Zwar ist auch der Menschenrechtler Perera trotz mancher Kritik überzeugt, dass die neue Regierung auf dem richtigen Weg ist: „Die Rajapaksa-Regierung hatte einen Polizeistaat geschaffen, ein Klima der Angst erzeugt. Das ist jetzt vorbei.“ Auch internationale Beobachter attestieren Sirisena, er setze auf gute Regierungsführung, auf Rechtsstaatlichkeit und Versöhnung, er habe sich ausdrücklich von Kompetenzen, die sich sein Amtsvorgänger Rajapaksa willkürlich angeeignet habe, verabschiedet. Doch noch immer fühlen sich viele Tamilen diskriminiert, weil mancher Brief vom Staat nur singhalesisch geschrieben ist, obwohl Tamil offizielle Sprache ist, weil überproportional viel Militär in Tamilengebieten stationiert ist und weil die Sicherheitskräfte fast ausschließlich singhalesisch sprechen. Noch immer sind die umstrittenen Antiterrorgesetze in Kraft, noch immer warten Tausende Tamilen, die während des Krieges durch die Armee von ihrem Land vertrieben wurden, auf die Rückgabe. Und ob die für dieses Frühjahr angesetzte Verfassungsänderung tatsächlich eine Mehrheit findet, ist völlig offen. Sie soll die Reformen festschreiben und die vor allem von den Tamilen geforderte Dezentralisierung sicherstellen.

Entscheidend für die Zukunft Sri Lankas aber wird sein, wie das Land mit der Last der Vergangenheit umgeht. Vor allem am Ende des Krieges sollen Regierungstruppen und Rebellen massive Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Zehntausende Tamilen wurden verhaftet und in Lagern interniert, viele mutmaßliche Rebellen verschwanden spurlos. Die Rebellenführer kann man für Morde und Zwangsrekrutierungen nicht mehr zur Verantwortung ziehen – sie sind alle tot, wurden zum Teil exekutiert, nachdem sie sich ergeben hatten.

Die Vereinten Nationen plädieren für ein gemischtes Tribunal mit internationaler Beteiligung, um Kriegsverbrechen aufzuklären. Die Regierung steht vor einem Dilemma: Anders als Präsident Rajapaksa, der es vehement ablehnte, Militärs zur Verantwortung zu ziehen, unterstützt sie offiziell die UN-Forderung. Aber sie weiß auch, dass viele Singhalesen eine internationale Beteiligung am Tribunal ablehnen. Viele Tamilen andererseits haben kein Vertrauen in eine rein nationale Lösung. Und so hat sich Präsident Sirisena Anfang Dezember erst einmal ein anderes Kapitel der Vergangenheit vorgenommen: 19 Anführer einer Rebellion gegen die Briten im Jahr 1818, die als Verräter hingerichtet worden waren, erklärte er offiziell zu Kriegshelden.

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