Konflikt um Idlib Syrien hat eine neue Stufe der Eskalation erreicht

Istanbul · Der türkische Nationalistenchef und Erdogans Koalitionspartner fordert einen Marsch nach Damaskus und sagt: „Syrien soll brennen“. Der Konflikt um die Provinz Idlib wird immer blutiger.

 Von der Türkei unterstützte syrische Rebellen bereiten sich auf Kampfhandlungen vor.

Von der Türkei unterstützte syrische Rebellen bereiten sich auf Kampfhandlungen vor.

Foto: AP/Ghaith Alsayed

Die Türkei verstrickt sich immer tiefer in den blutigen Konflikt in der syrischen Provinz Idlib. Nach der Entsendung von rund 5000 Soldaten und schweren Waffen in das Gebiet kündigte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag an, die türkische Armee werde Vergeltung für den Tod von fünf Soldaten bei Gefechten mit syrischen Regierungstruppen in Idlib üben. Erdogans Bündnispartner, Nationalistenchef Devlet Bahceli, verlangte, die türkischen Soldaten sollten bis in die syrische Hauptstadt Damaskus marschieren.

Bahceli stellte auch die Zusammenarbeit von Türkei und Russland in Syrien infrage. Türkisch unterstützte Rebellen in Idlib schossen einen syrischen Militärhubschrauber ab. Mit der aggressiven Haltung wendet sich Ankara gegen die Forderung der syrischen Schutzmacht Russland, alle Angriffe auf die syrische Regierungsarmee einzustellen. Für die inzwischen rund 700.000 Flüchtlinge in Idlib ist die Lage verzweifelt.

Erdogan: Syrien werde „einen sehr, sehr hohen Preis“ bezahlen

Erdogan sagte, Syrien werde „einen sehr, sehr hohen Preis“ für den Tod von fünf türkischen Soldaten am Montag in Idlib bezahlen. Schon jetzt antworte die türkische Armee auf die syrischen Angriffe. „Aber das reicht nicht, es wird noch weitergehen.“ Konkrete Schritte will Erdogan an diesem Mittwoch verkünden.

Bahceli, dessen Partei MHP im Parlament von Ankara die Mehrheitsbeschafferin von Erdogans Regierungspartei AKP ist, sagte, die Türkei müsse dafür sorgen, dass Syriens Staatspräsident Baschar al-Assad gestürzt werde. Assads Partner Russland habe „keine guten Absichten“, sagte Bahceli. Die Türkei, die in Syrien seit Jahren eng mit Russland kooperiert, solle ihre Beziehungen zu Moskau überdenken. Die Planung für die Einnahme von Damaskus müsse beginnen: „Syrien soll brennen, Idlib soll zusammenbrechen, nieder mit Assad!“

Nicht nur wegen der Brandrhetorik von Bahceli steht Erdogan innenpolitisch unter Druck. Er hatte Anfang Februar die Armee nach Idlib geschickt, um den Vormarsch der syrischen Armee zu stoppen und einen neuen Massenansturm von Flüchtlingen aus Idlib auf türkisches Gebiet zu verhindern. Während vergangene Woche acht und am Montag fünf türkische Soldaten bei Gefechten getötet wurden, konnten Assads Soldaten weiter vorrücken. Nach den jüngsten Geländegewinnen kontrolliert die syrische Armee nun zum ersten Mal seit acht Jahren die Fernstraße M5 von Aleppo im Norden des Landes nach Damaskus im Süden in ihrer vollen Länge. Nun fasst sie offenbar neue Ziele ins Auge. Die syrische Luftwaffe tötete am Dienstag bei Angriffen auf die Provinzhauptstadt Idlib zwölf Menschen, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte.

Erdogans Syrien-Politik hängt vom Wohlwollen Russlands ab

Die Türkei hat dagegen kaum militärische Erfolge vorzuweisen. Zwar erklärte das Verteidigungsministerium am Montagabend nach dem Tod der fünf Soldaten in Idlib, es seien mehr als 100 Stellungen der Syrer „vernichtet“ worden. Auch der Hubschrauber-Abschuss, bei dem die beiden Piloten ums Leben kamen, zeigte die Verwundbarkeit der syrischen Truppen. Doch da die Türkei wegen der russischen Lufthoheit in Idlib keine Kampfflugzeuge einsetzen kann und zudem eine direkte Konfrontation mit russischen Truppen vermeiden will, sind ihre Möglichkeiten begrenzt.

Erdogans Syrien-Politik hängt vom Wohlwollen Russlands als wichtigster Militärmacht in dem Bürgerkriegsland ab. Ohne Zustimmung aus Moskau hätte die Türkei in den vergangenen drei Jahren ihre Interventionen gegen die Kurdenmiliz YPG im Norden Syriens nicht starten können. Der derzeitige türkische Truppeneinsatz in Idlib war dagegen nicht mit Russland abgesprochen – was die Moskauer Regierung offenbar verärgert hat.

Der Kreml warnte die türkische Führung am Dienstag in deutlichen Worten. Dmitry Peskow, der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, forderte ein Ende aller Angriffe auf russische und syrische Soldaten in der Region Idlib. Vorige Woche waren russische Soldaten nach Moskauer Angaben bei Angriffen umgekommen, die aus dem türkisch kontrollierten Teil Idlibs kamen. Ankara unterstützt mehrere Rebellengruppen in der Provinz und hatte sich verpflichtet, radikale Milizen zu entwaffnen. Doch das ist nicht geschehen.

Keine Lösung nach Gesprächen zwischen Türkei und Russland

Gespräche zwischen türkischen und russischen Regierungsvertretern am Wochenende hatten keine Lösung gebracht. Erdogan und Putin wollten deshalb am Dienstagabend in einem Telefonat versuchen, einen Ausweg zu suchen. Da Erdogan aber bereits vor dem Telefonat in seiner Rede weitere Militäraktionen in Idlib ankündigte, standen die Chancen für eine Einigung schlecht.

Die Entwicklung könnte der Zivilbevölkerung in Idlib noch mehr Leid bringen. In der Provinz spiele sich die schlimmste Vertreibung von Menschen seit dem Beginn des Syrien-Krieges vor fast neun Jahren ab, teilte die Uno am Dienstag mit. Der stellvertretende Humanitäre UN-Koordinator für Syrien, Mark Cutts, veröffentlichte auf Twitter Aufnahmen eines langen Flüchtlings-Konvois. Viele Menschen müssen bei minus sieben Grad in Zelten übernachten. Die Lage sei „verzweifelt“, schrieb Cutts.

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