Interview mit Generalsekretärin des UN-Klimasekretariats Patricia Espinosa: „Das Zeitfenster schließt sich bald“

Exklusiv | Bonn · Zeit sei ein Luxus, den man sich bei der Bekämpfung des Klimawandels schlicht und einfach nicht mehr erlauben könne, sagt Patricia Espinosa, Generalsekretärin des UN-Klimasekretariats. Auch während der Corona-Pandemie müssten bestehende Verpflichtungen eingehalten werden.

 Globale Herausforderung: die Bekämpfung des Klimawandels

Globale Herausforderung: die Bekämpfung des Klimawandels

Foto: picture alliance / dpa/NASA Goddard Space Flight Center

Frau Espinosa, die Weltklimakonferenz Cop 26 wurde in den Herbst 2021 verschoben. Liegen damit auch die internationalen Verhandlungen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen in diesem Jahr brach?

Patricia Espinosa: Die Notwendigkeit für ambitionierten Klimaschutz war niemals höher als heute, insbesondere bezüglich der Abschwächung des Klimawandels, der Anpassung an seine Folgen und die Finanzierung effektiver Klimaschutzmaßnahmen. Covid-19 hat zur Verschiebung der Klimakonferenz Cop 26 geführt, aber die Notwendigkeit für Mitgliedsstaaten, bestehende Verpflichtungen einzuhalten, ist dadurch nicht geringer geworden. Ebenso wenig ist die Forderung an Mitgliedsstaaten, in diesem Jahr aktualisierte Klimapläne – NDCs –  einzureichen, aufgeschoben. Das Zeitfenster, innerhalb dessen wir den Klimawandel effektiv bekämpfen können, schließt sich bald. Zeit ist ein Luxus, den wir uns schlicht und einfach nicht mehr erlauben können. Die Klimapläne beschreiben, was jede Nation unternehmen wird um dem Klimawandel zu begegnen, welche Gesetze, welche Investitionen und vieles mehr. Diese Pläne müssen alle fünf Jahre eingereicht werden. 2025, wenn die Pläne das nächste Mal aktualisiert werden, ist es vielleicht bereits zu spät. Deshalb müssen wir jetzt handeln.

Würden Sie sich wünschen, dass der Petersberger Dialog, der Impulse für die Klimakonferenzen setzen soll und jetzt zehnmal in Berlin stattfand, nach Bonn zurückkehrt? Immerhin haben das UN-Klimasekretariat und das Bundesumweltministerium hier ihren Sitz.

Espinosa: Das UN-Klimasekretariat ist stolz darauf, Bonn als Heimatstadt zu haben. Die Stadt kann mit Blick auf das Ausrichten internationaler Konferenzen auf eine Erfolgsgeschichte verweisen, inklusive der UN-Klimakonferenz im Jahr 2017. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Bonn – sobald solche Begegnungen wieder möglich sind – im Stande wäre, den Dialog auszurichten. Selbst während meiner relativ kurzen Zeit in Bonn konnte ich verfolgen, dass die Stadt nach Spitzenleistungen als Zentrum für Nachhaltigkeit strebt und wichtige Schritte unternimmt, um seinen eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Dafür haben wir auch Oberbürgermeister Ashok Sridharan zu danken, der sich kontinuierlich für Bonn als UN-Standort in Deutschland und als Gastgeber für Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen stark macht. Wir sind sehr dankbar für seine kontinuierliche Unterstützung.

Die Weltklimakonferenzen sind verstärkt in die Kritik geraten. Als Großveranstaltungen verursachen sie selbst einen starken Reiseverkehr. Die Ergebnisse sind bescheiden. Brauchen wir neue Formate wie Online-Konferenzen?

Espinosa: Die kurze Antwort auf diese Frage lautet: Ja, neue Formate, die den ökologischen Fußabdruck unserer Konferenzen verringern können, müssen wir in Betracht ziehen. Einiges passiert bereits in dieser Hinsicht. Erst neulich haben Klimatechnologie-Experten aus aller Welt eine Konferenz virtuell abgehalten und sich darüber ausgetauscht, wie Regierungen ihre Wirtschaften besser auf die Folgen des Klimawandels einstellen können. Nachdem wir jetzt gesehen haben, dass solche Konferenzen funktionieren, werden wir es ohne Zweifel häufiger sehen. Virtuelle Konferenzen ermöglichen eine breite Teilhabe und geringere Emissionen. Während der derzeitigen Krise haben sie uns erlaubt, unsere Arbeit fortzusetzen. Allerdings gibt es mit Blick auf unsere größeren Konferenzen wie Cop – mit über 20 000 Teilnehmern – legitime Bedenken bezüglich der technologischen Umsetzung und der Transparenz der Verhandlungen. Diese Bedenken müssen wir ernst nehmen.

Wird die Covid-19-Pandemie die Bemühungen der Vertragsstaaten zum Klimaschutz mindern? In Deutschland wurden aus der Wirtschaft Forderungen erhoben, Zielvorgaben zu verringern oder zu verschieben?

Espinosa: Covid-19 ist eine der größten Herausforderungen, denen sich die Weltwirtschaft jemals stellen musste. Aber der Virus ist keineswegs nur ein Unfall, der Einfluss des Menschen ist entscheidend. Die Zerstörung natürlicher Lebensräume in der Vergangenheit hat die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie erhöht. Jetzt verschärft die hohe Luftverschmutzung in vielen Teilen der Erde das Risiko für Erkrankte. Was bedeutet diese Erkenntnis für uns? Es zeigt uns, dass wir nicht zu einem Modell zurückkehren können, das Wirtschaft und Natur gegeneinander ausspielt. Anstatt dessen müssen wir unsere Anstrengungen beschleunigen, beide Bereiche zu harmonisieren. Hier tut sich, inmitten all dieser Herausforderungen, eine Chance auf. Die Chance für Länder, den Übergang zu einem gesünderen und nachhaltigeren Wirtschaftsmodell zu beschleunigen.

Vor allem die Industriestaaten investieren gewaltige Summen, um ihre Wirtschaften durch die aktuelle Krise zu bringen. Ist der Klimaschutz angesichts dessen in Wahrheit bislang nicht sehr halbherzig betrieben worden?

Espinosa: Zum jetzigen Zeitpunkt haben 193 Staaten wirtschaftliche Maßnahmen angekündigt, um der Krise zu begegnen. Entweder in Form von fiskal- oder geldpolitischen Notfallreaktionen, oder durch Maßnahmen mit längerfristigen Auswirkungen. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass sich die unmittelbaren Maßnahmen auf acht Billionen US-Dollar belaufen. Das verdeutlicht sowohl den Umfang der Krise, als auch die Möglichkeit für Regierungen, die Erholung klimafreundlich zu gestalten.

2019 ist der CO2-Ausstoß weltweit nochmals um 0,6 Prozent gestiegen. Um das Zwei-Grad-Ziel bei der Erderwärmung zu erreichen, müsste er hingegen bis 2050 um mindestens 40 bis 70 Prozent verglichen mit 2010 sinken, sagt der Weltklimarat IPCC. Muss man nicht konstatieren, dass die Klimadiplomatie viel zu langsam ist?

Espinosa: In der Tat. Wie der UN-Generalsekretär immer wieder betont hat: „Der Klimawandel bewegt sich momentan schneller als wir“. Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, müssen wir unsere Emissionen bis zum Jahr 2030 um 45 Prozent senken und bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erreichen. Mit den bisher eingereichten Klimaplänen werden wir keines dieser Ziele erreichen. Deshalb ist es so wichtig, schnell zu handeln und Verzögerungen beim internationalen Klimaschutz zu verhindern. Ich kann Ihnen versichern, dass wir unsere Arbeit mit Mitgliedsstaaten und nichtstaatlichen Akteuren fortsetzen werden, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Sie haben seit Jahrzehnten intensive Kontakte nach Deutschland und waren unter anderem zweimal als Botschafterin Mexikos in der Bundesrepublik. Wie erleben Sie Deutschlands Bemühen um den Klimaschutz im Vergleich?

Espinosa: Als ehemalige Ministerin weiß ich, wie schwierig es ist, gute Kompromisse auszuhandeln. Ich bin daher froh, dass es in Deutschland jetzt ein Klimagesetz gibt. Allerdings sind die beschlossenen Maßnahmen leider noch nicht ausreichend – so wie in vielen anderen Ländern auch. Persönlich bin ich Deutschland in der Tat sehr verbunden. Ich habe in Mexiko eine deutsche Schule besucht und habe daher seit meiner Kindheit eine enge Verbindung zu diesem Land. Ich habe deutsche Freunde und sogar eine Gastfamilie hier, bei der ich ein Jahr lang gelebt habe. Deutschland fühlt sich nach zu Hause an und ich schätze mich sehr glücklich, dass ich diese Zeit hier verbringen kann.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort