Überblick über die Rechtslage Ist der Brexit noch zu stoppen?

London · Die oppositionelle Labour-Partei will durch die Bildung einer Übergangsregierung einen ungeregelten Brexit verhindern. Wie ist die Rechtslage? Dazu vier Fakten.

 Lehnt ein Misstrauensvotum ab: der frühere Finanzminister Philip Hammond. FOTO: AP

Lehnt ein Misstrauensvotum ab: der frühere Finanzminister Philip Hammond. FOTO: AP

Foto: AP

Mehrheitsverhältnisse: Die konservative Regierung von Boris Johnson stützt sich im Unterhaus auf eine Mehrheit von nur noch einer Stimme. Wenige konservative Überläufer würden genügen, damit die Oppositionsparteien ein Misstrauensvotum sicher durchbringen können. Damit beginnt eine Frist von 14 Tagen. In dieser Zeit müsste Corbyn eine Mehrheit hinter sich bringen. Mehrere Anläufe sind erlaubt, nach einem Scheitern Corbyns könnte ein Versuch mit einem Kompromisskandidaten erfolgen. Bleiben alle Versuche erfolglos, dann sind Neuwahlen die Folge. Den Termin kann Johnson festsetzen – spekuliert wird über den 1. November, den Tag nach dem aktuell geltenden Brexit-Datum.

Parlamentsauflösung: Das Unterhaus würde 25 Arbeitstage vor der Wahl aufgelöst, im eben genannten Fall also am 27. September. Damit gäbe es in den fünf Wochen vor dem Brexit-Termin keine Chance mehr für die Abgeordneten, zu intervenieren. Das macht das Misstrauensvotum zu einem so gefährlichen Instrument. Manche Verfassungsrechtler glauben, Johnson dürfe den Brexit nach Ausrufung von Neuwahlen nicht vollziehen. Sie berufen sich auf den ungeschriebenen Grundsatz, dass eine Regierung im Wahlkampf keine Entscheidungen treffen darf, die ihre Nachfolger politisch binden. Johnson kann aber argumentieren, dass er nur den bereits erklärten EU-Austritt in Kraft treten lässt.

Misstrauensvotum: Viele konservative Dissidenten wie der ehemalige Finanzminister Philip Hammond lehnen ein Misstrauensvotum derzeit ab. Sie setzen auf die Möglichkeiten der Gesetzgebung. Das hat am 8. April 2019 schon einmal geklappt: Unterhaus und Oberhaus wiesen die damalige Premierministerin Theresa May an, mit der EU einen Brexit-Aufschub auszuhandeln. Aber was, wenn Johnson nicht konstruktiv verhandelt? Das Parlament könnte weitere Gesetze beschließen und das Recht der Haushaltsaufstellung (wichtig wegen der EU-Beiträge) an sich ziehen, so der Verfassungsrechtler Vernon Bogdanor im „Guardian“. Aber es kann nicht selbst mit der EU verhandeln. Der Konflikt könnte wieder zur Frage von Misstrauensvotum und Neuwahlen führen. Allerdings: Jetzt wäre auch den letzten Johnson-kritischen Konservativen klar, dass alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind.

Neuwahlen: Auch bei Neuwahlen hätten die Konservativen gute Chancen. Sie liegen im Durchschnitt neuerer Umfragen zwar nur bei gut 30 Prozent. Dies könnte aber reichen, um 311 von 650 Wahlkreisen zu gewinnen – sieben weniger als unter May 2017 mit damals 43,5 Prozent. Im britischen Wahlrecht zählt ja nur, wer in wie vielen Wahlkreisen vorne liegt. Johnson hat durch seinen harten Kurs gegenüber der EU die Brexit-Partei von Nigel Farage klar distanziert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort