Im Porträt Kamala Harris verkörpert das Gegenbild zur Trump-Gesellschaft

Analyse | Washington · US-Präsidentschaftskandidat und Trump-Herausforderer Joe Biden hat sich entschieden: Kamala Harris wird an seiner Seite als mögliche Vizepräsidentin in den Wahlkampf ziehen. Doch wer ist diese 55-Jährige? Ein Porträt.

 Mit Kamala Harris könnte erstmals eine schwarze Frau Vize-Präsidentin der Vereinigten Staaten werden.

Mit Kamala Harris könnte erstmals eine schwarze Frau Vize-Präsidentin der Vereinigten Staaten werden.

Foto: dpa/John Locher

Kamala Harris hat im Laufe ihrer Karriere schon öfter Premieren gefeiert. Sie war die erste Frau auf dem Chefposten der Bezirksstaatsanwaltschaft von San Francisco, die erste Justizministerin Kaliforniens, schließlich die erste Senatorin mit dunkler Haut, die den wirtschaftlich so gewichtigen Westküstenstaat im Senat in Washington vertrat. Jetzt schreibt sie ein viertes Mal Geschichte, als erste Nichtweiße, die von einer der beiden großen Parteien Amerikas für eines der beiden wichtigsten Ämter der Politik, das des Präsidenten oder des Vizepräsidenten, ins Rennen geschickt wird.

Dass Joe Biden, der Widersacher Donald Trumps, sie zum „Running Mate“ kürt, kommt alles andere als überraschend. Harris gehörte von vornherein zum Favoritenkreis. Sie gilt als debattenstark, sie weiß sowohl auszuteilen als auch einzustecken, was in der zu erwartenden Schlammschlacht ums Weiße Haus unverzichtbare Qualitäten sind. Die Demonstrationen nach dem Tod George Floyds, die Proteste im Zeichen von „Black Lives Matter“, haben die Forderung, endlich eine dunkelhäutige Kandidatin für die Vizepräsidentschaft zu nominieren, nur noch lauter werden lassen. Ohnehin stand Biden bei Afroamerikanern in der Pflicht, schließlich waren sie es, die ihm nach einem verpatzten Vorwahlstart auf der dritten Etappe in South Carolina zu einem glänzenden Comeback verhalfen.

Warum er Harris den Zuschlag gab, nicht der schwarzen Kongressabgeordneten Karen Bass, nicht Susan Rice, einer ehemaligen Sicherheitsberaterin im Weißen Haus, wird er wohl noch im Detail erklären. Fürs Erste beließ er es bei Worten, die eher nach Routine und weniger nach Geschichtsbuch klangen. Die Frau sei eine furchtlose Kämpferin für den kleinen Mann, zudem eine der besten Staatsdienerinnen, die das Land habe, schrieb er in einem Tweet.

Ein Gegenentwurf zur Trump-Gesellschaft

Allein schon biografisch steht die 55-Jährige, Tochter eines aus der Karibik stammenden Ökonomen und einer in Indien geborenen Krebsforscherin, für jenes weltoffene Amerika, das sich als Gegenentwurf zu Trumps Abschottung versteht. Intern ist sie indes nicht die Brückenbauerin, die die Linke um Bernie Sanders mit dem Zentristen Biden versöhnen könnte. Dazu besetzt sie selbst zu eindeutig die Mitte. Von 2004 bis 2010 war sie District Attorney von San Francisco, von 2011 bis 2017 Chefin des kalifornischen Justizressorts. Aus dieser Zeit stammen Konflikte mit dem progressiven Flügel, die jederzeit wieder aufflammen können. Im Umgang mit Kriminalität setzte Harris auf Härte, beispielsweise plädierte sie für ein Gesetz, nach dessen Paragrafen de Eltern chronischer Schulschwänzer mit bis zu zwölf Monaten Gefängnis bestraft werden konnten.

Im Juni vor einem Jahr, gleich zum Auftakt der Fernsehdebatten der Bewerber fürs Oval Office, sorgte sie für Aufsehen, als sie Biden vorwarf, allenfalls halbherzig für ein Ende der Rassentrennung im Schulbetrieb eingetreten zu sein. Ein kleines Mädchen, sagte sie, habe damals in einem der Busse gesessen, in denen schwarze Schüler zu Schulen gefahren wurden, in denen sie nunmehr gemeinsam mit weißen lernen sollten – „Und dieses Mädchen war ich“. Der Jungsenator Biden habe lieber mit rassistischen Kollegen aus den Südstaaten kooperiert, statt sich für diese Busse ins Zeug zu legen. Damals kam der Kritisierte ins Stottern, heute legt er Wert auf die Feststellung, dass die Attacke trotz ihrer Schärfe keine Narben hinterließ. „Hege keinen Groll“, war neulich auf einem seiner Notizzettel zu lesen.

Man könne Menschen nicht in Schubladen sortieren, betonte Harris, als sie skizzierte, mit welchem Leitfaden sie in den Präsidentschaftswahlkampf 2020 zu ziehen gedachte. Niemand lebe ein Leben, in dem sich alles nur um ein Thema drehe. Was die Leute wollten, seien Politiker, die der Komplexität jedes einzelnen Lebens gerecht würden. In Philosophie wie Biografie erinnerte sie ein wenig an Barack Obama, den Weltbürger, mit dem sie denn auch häufig verglichen wurde.

Ihr Vater Donald Harris, Wirtschaftswissenschaftler an der Stanford University, immigrierte aus Jamaika in die Vereinigten Staaten. Ihre Mutter Shyamala Gopalan, eine auf Brustkrebs spezialisierte Ärztin, wurde in Indien geboren. Der Name Kamala stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Lotusblüte. Als Kind besuchte Harris Gottesdienste sowohl in einem Hindutempel als auch in einer schwarzen Baptistenkirche. Auf die High School ging sie im kanadischen Montreal, wo ihre Mutter eine Zeit lang lehrte. Und wie der Senkrechtstarter Obama wartete sie, nachdem sie im November 2016 in den US-Senat gewählt worden war, gerade mal zwei Jahre, ehe sie sich für das höchste Staatsamt bewarb. Dann war da noch, ähnlich wie bei Obama, dem Sohn einer weißen Mutter aus Kansas und eines schwarzen Vaters aus Kenia, die Frage nach ihrer Identität. Wie sie die als Tochter von Einwanderern beschreiben würde, wurde sie einmal gefragt. Die Antwort: „Ich sehe mich als stolze Amerikanerin“.

Mit Vorschusslorbeer überhäuft, konnte sie den Erwartungen allerdings nicht gerecht werden, als es ernst wurde beim Kandidatenwettlauf ihrer Partei. Ihre Programme waren zu beliebig, ihre Rhetorik zu austauschbar. Während Originale wie Sanders Akzente setzten, schien es, als wollte sie es jedem recht machen. Noch bevor die erste Vorwahl über die Bühne ging, warf sie resigniert das Handtuch. Es sei, sagte Kamala Harris, eine der schwersten Entscheidungen ihrer Karriere gewesen.

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