Kommentar zum deutsch-türkischen Verhältnis Klare Bedingungen

Meinung | Bonn · Die Aufhebung der Ausreisesperre von Mesale Tolu ist ein Zeichen dafür, dass der türkische Präsident wieder nach besseren Beziehungen zu Deutschland strebt. Das liegt auch an der schwachen wirtschaftlichen Lage des Landes, meint GA-Autorin Eva Quadbeck.

Die Entscheidungen der türkischen Justiz über politische Gefangene kommen stets überraschend, ohne Vorankündigung und ohne nachvollziehbare Erklärungen. Dieser Umstand offenbart, dass die Türkei auf rechtsstaatliche Standards keinen Wert mehr legt. Präsident Recep Tayyip Erdogan ist an seinem Ziel angekommen, die Türkei mit einem autoritären Präsidialregime zu führen. Zugleich ist er in eine Sackgasse geraten: Über Jahre hat er die türkische Wirtschaft mit staatlich finanzierten Bauprojekten in großem Stil angekurbelt und es versäumt, der galoppierenden Inflation und den steigenden Zinsen Einhalt zu gebieten. Der künstlich erzeugte Bauboom und ein rasch wachsendes Bruttosozialprodukt waren über Jahre eine wichtige Säule seiner Macht und seines Rückhalts im Volk.

Nun ist die Türkei durch ihre hausgemachten ökonomischen Probleme und durch die zusätzlichen Sanktionen der USA in eine schwere Finanzkrise geraten. Die Krise bedroht nicht nur den in den vergangenen Jahren gewachsenen Wohlstand der Türken. Sie bedroht auch das System Erdogan. Die Wirtschaft ist seine Achillesferse. Im Verhältnis zur deutschen Regierung schaltete die türkische Führung erst in dem Augenblick von Schimpfen und Provozieren auf diplomatische Töne um, als sich die deutschen Touristen verschreckt vom beliebten Urlaubsland abwandten.

International isoliert

Erdogan hat sich international isoliert. Mit dem wichtigsten Nato-Partner, der USA, liegt er im Streit. Abgesehen vom Flüchtlingsabkommen und den Handelsbeziehungen liegen die Beziehungen zur EU auf Eis. Und im russischen Präsidenten Putin hat er nun wahrlich keinen verlässlichen Partner.

Erdogan ist zwingend darauf angewiesen, wieder engere Kontakte zu Europa und zu Deutschland zu knüpfen. Deutschland ist für die Türkei der wichtigste Handelspartner. Nun kann man meinen, dass einem türkischen Präsidenten, der vor nicht langer Zeit die Bundesregierung mit den Nazis verglichen hat, nicht gerade der rote Teppich in Berlin ausgerollt werden muss. Doch nicht nur Erdogan braucht Deutschland. Auch Deutschland braucht die Türkei: als Nato-Partner, für das Flüchtlingsabkommen und als Land, das die Konflikte im Nahen Osten fern von Europa hält.

Deutschland hat also ein Interesse an einer stabilen Türkei. Es gibt aber keinen vernünftigen Grund, Erdogan als Präsidenten zu stabilisieren.

Die deutsche Regierung sollte der Türkei beide Hände ausstrecken und dabei so wenig wie möglich Erdogan selbst stützen. Wenn er Ende September zum Staatsbesuch kommt, müssen Bundespräsident und Kanzlerin nicht nur deutliche Worte zur Menschenrechtslage in der Türkei finden, sondern auch eine mögliche verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit an klare Bedingungen für mehr Rechtsstaatlichkeit in der Türkei knüpfen.

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