Gipfel in Brüssel Klima-Paket mit versteckten Kosten

BRÜSSEL · Noch in der Nacht des Klimaschutz-Kompromisses ließen die Umweltorganisationen ihrer Enttäuschung freien Lauf. "Klimaschutzkanzlerin a. D." schrieben sie über ihre Presseerklärungen und schimpften wie BUND-Chef Hubert Weiger darüber, dass die EU "das Ziel aufgegeben hat, den Klimawandel einzudämmen". Statt 40 Prozent CO2-Abbau bis 2030 wären 60 Prozent nötig gewesen.

 Alt und nicht gerade umweltfreundlich: das Braunkohlekraftwerk von Turów im Südwesten Polens, das 1962 errichtet wurde.

Alt und nicht gerade umweltfreundlich: das Braunkohlekraftwerk von Turów im Südwesten Polens, das 1962 errichtet wurde.

Foto: dpa-Zentralbild

Doch das war schlichtweg nicht drin, resümierte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, als er weit nach Mitternacht eine erste Bilanz dieses Gipfels zog. "Es war schwierig, jeden an Bord zu bekommen", sagte er. Tatsächlich hatte sich die neue polnische Ministerpräsidentin Ewa Kopacz gleich bei ihrer Brüsseler Premiere so lange quergestellt, bis sie Zuschüsse in geschätzter Höhe von 320 Millionen Euro für den Umbau ihrer Kohle-Kraftanlagen herausgeschlagen hatte.

Großbritanniens Premier David Cameron lehnte eine 30-prozentige Steigerung der Energieeffizienz ab, weil er neue drakonische Vorschriften der Brüsseler Bürokratie fürchtete. "Ich bin sehr zufrieden mit dem Fortschritt", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel trotzdem nach dem Abschluss der Beratungen. "Ich habe mir zwar mehr gewünscht", aber der Beschluss werde "Europa zu einer entscheidenden Partei machen, wenn es um die nächsten Klimaverpflichtungen bindender Art in einem internationalen Abkommen" geht. Im Übrigen seien die deutschen Ziele "ja weit strenger und insofern brauchen wir uns nicht weiter aufzuregen darüber, was Brüssel uns jetzt zuteilt". Bei den erneuerbaren Energien liege die Bundesrepublik schon jetzt bei 25 Prozent, während die EU sich 27 Prozent bis 2030 vorgenommen habe. "Da werden wir definitiv mehr machen." Mit der Quote von 25 Prozent ist der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung gemeint.

Der Eindruck, die Brüsseler Vereinbarungen könnten Deutschland völlig kalt lassen, ist jedoch ein Irrtum. Denn einmal mehr hat Berlin in die Tasche gegriffen, um den Kompromiss zu bezahlen. So übertragen Deutschland und Frankreich jeweils zehn Prozent ihrer Quoten aus dem Emissionshandel an die ärmeren Länder anstatt sie zu verkaufen.

Was das in Euro und Cent bedeutet, mochte gestern noch niemand sagen. "Es dürfte aber um etliche Millionen gehen", hieß es von Experten. Für 2014 erwartet das Umweltbundesamt allein für Deutschland Bruttoerlöse von 836 Millionen Euro. Auf der Grundlage dieser Rechnung würde Berlin ab 2020 jährlich auf 83 Millionen Euro zugunsten anderer, weniger entwickelter Familienmitglieder der Union verzichten müssen.

Hinzu kommen weitere Belastungen für die Wirtschaft, die der Hauptgeschäftsführer der Bundesverbands der Deutschen Industrie, Markus Kerber, kritisierte: "Der Gipfelbeschluss setzt die europäischen Energiepreise im weltweiten Vergleich noch stärker unter Druck. Die Politik steht in der Pflicht, den Unternehmen keine zusätzlichen Klimaschutzlasten aufzubürden, die internationale Wettbewerber nicht zu tragen haben." Allein das Emissionshandelssystem bewirke, dass die Wettbewerbsposition der EU-Konzerne auf dem Weltmarkt "deutlich schwieriger" sei.

Noch dramatischer könnten die Folgen für die Chemie-Branche sein, wenn eintritt, was der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der chemischen Industrie, Utz Tillmann, beschreibt. Demnach bleiben "die Lasten für den Klimaschutz auch nach 2020 ungleich verteilt". Die erheblichen Vorleistungen gerade der deutschen Chemie, die ihre Treibhausgasemissionen seit 1990 durch Effizienzmaßnahmen und die Sanierung der ostdeutschen Chemie um die Hälfte gesenkt hat, seien nicht anerkannt worden, im Gegenteil: "Über den Emissionshandel verlangt die Politik von uns eine weitere Minderung von 22 Prozent zwischen 2020 und 2030. Das schaffen wir nur, indem wir auf einen Ausbau der Produktion verzichten. Im schlimmsten Fall müssen wir sie sogar einschränken," warnte Tillmann.

Doch nicht nur die Betriebe stehen vor Zusatzlasten, sondern auch der Verbraucher, der das Klimaschutz-Paket am Ende bezahlt. Um rund fünf Prozent stiegen die Strompreise hierzulande in den vergangenen Jahren, selbst die Europäische Union weiß, dass die Bundesrepublik Deutschland inzwischen überdurchschnittlich hohe Stromkosten in der Union zu schultern hat. Der Trend wird weitergehen - auch wenn die Kommission sich bemüht gegenzuhalten, indem sie auf die sinkenden Folgekosten hoher Schadstoffbelastung hinweist.

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