Streit um die Maut Konfrontationskurs mit Brüssel

Brüssel · Die zuständige EU-Kommissarin Violeta Bulc und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt geben nicht nach. Dabei zeigt das Vorgehen der EU-Kommission in anderen Ländern, dass sie nicht viel von Sonderregelungen hält.

In Berlin hatte man den blauen Brief aus Brüssel wohl schon erwartet. Dass die EU-Kommission den Plänen von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gegenüber Vorbehalte hat, machte sie bereits im Juni deutlich.

Zum Vorhaben, zeitgleich mit der Einführung der Maut, die für alle Autofahrer auf deutschen Autobahnen gelten soll, eine Kfz-Steuersenkung für Einheimische umzusetzen, die exakt den Kosten der neuen Straßengebühr entspricht, hatte die zuständige EU-Kommissarin Violeta Bulc schon damals „erhebliche Zweifel“ geäußert. Das damals verabschiedete Gesetz sei nicht mit EU-Recht vereinbar. Nun folgte ein zweiter Brief – diesmal mit einer Deadline: Deutschland bekommt zwei Monate Zeit, die Gesetzgebung so anzupassen, dass ausländische Fahrer nicht diskriminiert werden.

Dobrindt hofft auf eine schnelle Klarstellung vom europäischen Gerichtshof

Dobrindt hatte die Umsetzung der Autobahnsteuer bereits nach dem ersten Brief aus Brüssel vorerst ausgestellt, machte aber zugleich deutlich, dass er nicht vorhabe, auf die Änderungswünsche der Kommission, nach der alle Autofahrer gleichermaßen belastet werden müssten, einzugehen. Das könne sie „knicken“, so der Verkehrsminister damals. Der CSU-Politiker setzt auf Konfrontation. Er erhofft sich eine schnelle Klarstellung vom europäischen Gerichtshof: „Wir scheuen nicht den Weg vor den EuGH“, betonte er. Doch ein Prozess könnte Jahre in Anspruch nehmen – eine Umsetzung der Maut noch vor den Bundestagswahlen 2017 wäre damit kaum möglich. Der Minister will das Urteil abwarten.

Zugleich schwimmen Dobrindt die Felle davon. Denn bislang konnte der CSU-Politiker auf eine ähnliche Regelung in Großbritannien verweisen. Dort wurde bereits 2014 eine Maut für Lkw eingeführt. Und einheimische Brummifahrer werden wie in Deutschland geplant über die Kfz-Steuer entlastet. Mit einem Unterschied: London führte erst die Maut ein und senkte dann die Steuer.

Geholfen hat es Premier David Cameron, der derzeit für den Verbleib in der EU wirbt, allerdings wenig. Auch gegen Großbritannien hat die Kommission nun ein Verfahren eröffnet, wenn auch spät. Bis zuletzt war unklar, ob die EU-Behörde diesen Schritt wagen würde – so kurz vor dem Referendum am 23. Juni über die Mitgliedschaft des Landes in der EU. Bislang ist man London entgegengekommen, wo es nur möglich war. Der für denselben Tag seit langem geplante Gipfel wurde auf die Folgewoche verschoben.

Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien überraschend

Umso überraschender kam der gestrige Entschluss, über das Vertragsverletzungsverfahren den Konfrontationskurs mit London zu suchen. Im EU-Parlament mehren sich Befürchtungen, dass die Nein-Kampagne damit nur noch beflügelt werden könnte: „Das ist eine regelrechte Steilvorlage“, meinte der Verkehrsexperte Michael Cramer von den Grünen – und sprach von einem denkbar schlechten Zeitpunkt.

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber begrüßte hingegen den konsequenten Schritt der Kommission: „Es wäre ein Skandal gewesen, wenn man aus Rücksicht auf das Referendum kein Verfahren gegen Großbritannien eingeleitet hätte.“ Dadurch wäre auch der Prozess gegen die Bundesrepublik „der Lächerlichkeit preisgegeben“ worden, sagte er gestern dieser Zeitung.

In die Mautgesetzgebung von EU-Staaten hatte sich die Kommission als „Hüterin der Verträge“ schon mehrfach eingemischt, etwa in Belgien, Slowenien, Österreich und Ungarn. Slowenien musste seine im Verhältnis zu Jahresvignetten sehr teuren Kurzzeitversionen günstiger anbieten. Österreich bat man, eine Wochenkarte für Kurzreisende anzubieten – und Ungarn bekam eine rote Karte für seine Version einer Lkw-Maut.

„In zwei Fällen“, schreibt die Kommission nun in ihrer Stellungnahme, müsse man jetzt aktiv werden, „um zu verhindern, dass Fahrer wegen ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden.“ Eine heftige Kollision zwischen Berlin und Brüssel scheint kaum mehr vermeidbar.

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