Digitaler Protest gegen den Krieg Google-Bewertungen und Tinder-Profile sollen Bürger in Russland über den Krieg aufklären
Bonn · Während Russland die freie Berichterstattung zunehmend zensiert, wird weltweit digitaler Protest gegen den Krieg in der Ukraine laut - mit immer kreativeren Methoden. Nun beginnen jedoch erste Plattformen damit, die Online-Demonstrationen einzuschränken.
Spätestens seit der Invasion der Ukraine ist freie Berichterstattung in Russland nicht mehr möglich. So hat Wladimir Putins Regierung unter anderem den Zugriff auf Facebook und Twitter eingeschränkt. Einigen regierungskritischen Medien wird die Ausstrahlung ihrer Programme gleich ganz verboten, so etwa dem Radiosender „Echo Moskwy“ oder dem Online-TV-Sender „Doschd“. Ziel des Kremls ist es, die Kriegspropaganda zur einzigen Informationsquelle über die Vorgänge in der Ukraine zu machen.
Doch es scheint, als hätte Russland nicht mit dem Widerstand aus dem Rest der Welt gerechnet: Immer mehr Menschen unterstützen digitale Protestformen, um die Bürgerinnen und Bürger in Russland über die Hintergründe des Ukraine-Kriegs aufzuklären.
Anonymous ruft zu „Reviewbombing“ auf Google Maps auf
So hat vor einigen Tagen beispielsweise das Netzkollektiv Anonymous seine knapp acht Millionen Follower auf Twitter dazu aufgerufen, die russische Bevölkerung mittels Google-Rezensionen aufzuklären: „Geht auf Google Maps. Geht nach Russland. Findet ein Restaurant oder Geschäft und schreibt eine Bewertung. Wenn ihr schreibt, erklärt, was gerade in der Ukraine passiert“, fordern die Aktivisten. Dazu empfehlen sie eine Fünf-Sterne-Bewertung mit einem passenden Text.
Das Echo war riesig, zahlreiche Medien berichteten über entsprechende Rezensionen. So berichtet der Spiegel: „Das Grand Cafe Dr. Jhivago zum Beispiel liegt fußläufig zum Kreml. Zu seinen neuesten Bewertungen mit der Höchstpunktzahl von fünf Sternen zählen Kommentare wie ‚Hört auf, in die Ukraine einzumarschieren‘ und ‚Rettet die Menschen. Stoppt den Krieg. Er droht mit einem Atomkrieg.‘“ Das Handelsblatt berichtet über folgende Bewertung: „Das Café „Domino“ in Belgorod wird mit einem Foto von Kriegstrümmern so bewertet: ‚Sehen Sie sich an, was Putin tut. So sieht die Ukraine im Moment aus. Die ganze Welt hat sich von Russland abgewandt. Stehen Sie auf und helfen Sie, dem ein Ende zu setzen!‘“
Mittlerweile sind diese Bewertungen jedoch nicht mehr auffindbar. Die meisten Rezensionen, die aktuell einsehbar sind, sind älter als eine Woche. Jüngere werden ohne Text angezeigt, dort ist nur die Bewertung von einem bis fünf Sterne zu sehen.
Inzwischen hat Google die Funktion, Rezensionen für russische, ukrainische und belarussische Restaurants oder Sehenswürdigkeiten schreiben zu können, gesperrt. Darauf wies zunächst das Kollektiv Anonymous hin. Auf eine Anfrage unserer Redaktion erklärt eine Google-Sprecherin: "Aufgrund der kürzlichen Zunahme von Beiträgen auf Google Maps, die sich auf den Krieg in der Ukraine beziehen, haben wir zusätzliche Schutzmaßnahmen eingeführt, um Inhalte zu kontrollieren und zu verhindern, dass sie gegen unsere Richtlinien für Maps verstoßen. Dazu gehört auch die vorübergehende Sperrung neuer Bewertungen, Fotos und Videos in der Region." Hintergrund sei, dass Google Maps zum einen nicht für diese Art von Informationen konzipiert wurde. Zum anderen könne das Unternehmen nicht gewährleisten, dass ausschließlich qualitativ hochwertige Informationen zur Verfügung gestellt würden.
Auch auf anderen Seiten wie Tripadvisor nutzten Menschen weltweit das sogenannte „Reviewbombing“, um die russische Bevölkerung über die aktuellen Ereignisse aufzuklären. Ähnlich wie Google hat sich jedoch auch das Reise-Bewertungsportal dazu entschlossen, dass für russische Restaurants, Hotels oder Sehenswürdigkeiten derzeit keine neuen Bewertungen hinterlassen werden können. Auf Anfrage unserer Redaktion erklärt eine Unternehmenssprecherin: „Tripadvisor ist in erster Linie eine Reiseberatungsplattform, auf der sich Reisende auf authentische Bewertungen von Reisezielen und Unternehmen auf der ganzen Welt aus erster Hand verlassen.“ Der Konflikt in der Ukraine habe jedoch zu einem Zustrom von Bewertungen für eine Reihe von Unternehmen in Russland, der Ukraine und umliegenden Ländern geführt, die keine Erfahrungen aus erster Hand beschreiben. Daher habe man entschieden, die Beiträge zunächst zeitweise zu sperren. Hierbei handelt es sich um eine „Standard-Moderationspraxis“, erklärt die Sprecherin und ergänzt: „Sperrungen sind kein Ausdruck der politischen Ansichten von Tripadvisor. Sie zielen lediglich darauf ab, die Website und die auf unserer Plattform gelisteten Unternehmen vor Bewertungen zu schützen, die nicht aus erster Hand stammen, und im Gegenzug sicherzustellen, dass Reisende den Inhalten auf unserer Website vertrauen können.“ Wie lange die Sperrung neuer Beiträge auf Tripadvisor andauern soll, beantwortete das Unternehmen nicht.
Auch Tinder wird genutzt, um Informationen zum Ukraine-Krieg zu verbreiten
Doch nicht nur Online-Rezensionen werden als digitale Protest-Plattform genutzt. Auch auf Datingsapps wie Tinder tauchten zuletzt in Guerilla-Manier entsprechende Informationen zum Krieg in der Ukraine auf.
Als Standort stellen die Nutzerinnen und Nutzer in ihrem Profil russische Städte ein, was auf Tinder mit kostenpflichtigen Zusatzfunktionen möglich ist. In ihren Texten informieren sie dann über die aktuellen Zuständ, damit russische Nutzerinnen und Nutzer, die auf der Suche nach einem Date sind, auf diese unzensierten Nachrichten stoßen.
Wir wollen wissen, was Sie denken: Der General-Anzeiger arbeitet dazu mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Wie die repräsentativen Umfragen funktionieren und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.