Brexit Labour-Chef will Premier Johnson stürzen

London · Jeremy Corbyn, Chef der britischen Labour-Partei, möchte mit einem Misstrauensvotum einen ungeregelten Brexit verhindern. Der 70-jährige Politiker ist eine sehr umstrittene Figur.

Jeremy Corbyn will Boris Johnson stürzen. Der Chef der britischen Labour-Partei hat ein Misstrauensvotum gegen den neuen Premierminister Johnson in einem Brief an die Vorsitzenden der kleineren Oppositionsparteien im Unterhaus angekündigt. Er möchte den Misstrauensantrag „bei der frühesten Gelegenheit, wenn wir eines Erfolges sicher sein können“, stellen und wirbt bei seinen Kollegen um Unterstützung. Nach dem Sturz von Johnson würde Corbyn „für eine zeitlich strikt begrenzte Dauer“ eine Übergangsregierung anführen mit dem Ziel, eine Verschiebung des Austrittstermins am 31. Oktober zu erwirken und danach Neuwahlen anzusetzen.

„Unsere Priorität sollte es sein“, schrieb Corbyn, „im Parlament zusammenzuarbeiten, um einen stark schädigenden No-Deal-Brexit zu verhindern“. Die Regierung habe für einen ungeregelten Austritt kein Mandat und auch das Referendumsresultat würde keine Rechtfertigung für einen No-Deal-Brexit liefern. Mit dieser Argumentation rennt der Labour-Chef bei seinen Kollegen offene Türen ein. Was ihnen allerdings gar nicht gefällt ist der Vorschlag, dass ausgerechnet Corbyn eine „Regierung der nationalen Einheit“ anführen soll. Der 70-jährige Politiker mit seinen stramm linken Ambitionen ist eine sehr umstrittene Figur, und das nicht nur bei seinen politischen Gegnern, sondern auch in der eigenen Fraktion.

Weitere Ideen, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern

Jo Swinson, die Anführerin der Liberaldemokraten, sagte, dass Corbyn „nicht die Person ist, die in der Lage wäre, selbst eine zeitweilige Mehrheit im Parlament aufzubauen“. Sie erklärte, dass sein Brief „kein seriöser Versuch ist, eine Lösung zu finden. Das ist ein Nonsense.“ Auch Caroline Lucas, die Co-Chefin der Grünen, machte klar, dass sie gegen einen Premierminister Corbyn stimmen würde. Nur geringfügig wärmere Worte kamen von Seiten der walisischen und schottischen Nationalisten. Liz Saville Roberts, Chefin von Plaid Cymru, erklärte, dass sie jeden Versuch, einen No Deal zu stoppen, unterstützen würde, aber der richtige Weg wäre ein zweites Referendum. Ian Blackford, der die SNP-Fraktion im Unterhaus anführt, sagte, er sei bereit, den Labour-Chef bei der frühesten Gelegenheit zu sprechen. Ziemlich vernichtend klang allerdings Anna Soubry, die einer kleinen Fraktion von unabhängigen Abgeordneten vorsteht. Herr Corbyn, sagte sie, „genieße noch nicht einmal Respekt und Unterstützung in seiner eigenen Partei, ganz zu schweigen bei allen anderen“.

Noch ist Sommerpause im Parlament, noch hätte die Opposition Zeit, sich zusammenzuraufen. Wenn das Haus ab dem 3. September wieder tagt, wären die Chancen, Johnson stürzen zu können, nicht unerheblich, denn die Regierung hat auch mit der Unterstützung durch die nordirischen Nationalisten von der DUP nur eine Arbeitsmehrheit von einer Stimme im Hohen Haus. Innerhalb der Fraktion der Konservativen gibt es rund 20 rebellisch gesinnte Torys, die bereit wären, gegen ihren Parteivorsitzenden und Regierungschef Johnson zu stimmen, um einen No Deal zu verhindern. Gewiss: Das würde das Ende ihrer politischen Karriere bedeuten. Doch Abgeordnete wie der ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve oder der Ex-Schatzkanzler Kenneth Clarke sehen in einem ungeregelten Austritt ein einziges Desaster und würden im Interesse der Nation handeln wollen.

Scharfe Kritik von Johnson

Der Sturz Johnsons ist eine Sache, eine ganz andere dagegen ist es, Corbyn auf den Schild zu heben. Das ist für Torys, die Corbyn für einen ausgemachten Marxisten halten, schlicht undenkbar. Deshalb wurde vor Kurzem ein anderer Vorschlag eingebracht: Anführen solle eine „Regierung der nationalen Einheit“ ein möglichst unumstrittener, allseits respektierter Politiker. Im Gespräch waren unter anderem Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer oder der „Vater des Hauses“, der dienstälteste Abgeordnete Kenneth Clarke. Doch genau diesem Modell erteilte dann die Labour-Führung ein klare Absage: Nur der offizielle Oppositionsführer, also Corbyn, käme für die Position eines Interim-Premiers in Frage. Es bleibt abzuwarten, ob Labour diese Position halten kann. Denn sollte Corbyn es nicht schaffen, selbst eine Regierung bilden zu können, würde der Druck wachsen, einen alternativen Johnson-Ersatz zuzulassen. Corbyn könnte es sich nicht leisten als jemand dazustehen, der aus verletzter Eitelkeit nicht Platz machen wollte und deshalb den No Deal nicht verhindert hätte.

Andere Manöver werden zur Zeit ebenfalls geplant. Der von Johnson geschasste Schatzkanzler Philip Hammond will eine Allianz von moderaten Konservativen zur Verhinderung eines No Deal schmieden. Der Plan ist, ein Gesetz zu verabschieden, das den Premierminister verpflichtet, in Brüssel um eine Verlängerung zu bitten. Andere Abgeordnete wollen sogar das Staatsoberhaupt Elizabeth II. einspannen. Die Queen soll zu dem am 17. Oktober stattfindenden EU-Gipfel nach Brüssel reisen und dort die Verlängerungsbitte einreichen. Das klingt ziemlich abenteuerlich, aber die Zeiten sind ernst.

Boris Johnson hat die Versuche, ihn daran zu hindern, Großbritannien am 31. Oktober aus der EU zu führen, scharf kritisiert. „Es gibt eine schreckliche Art von Kollaboration“, sagte er, „zwischen Leuten, die denken, sie könnten den Brexit im Parlament blockieren, und unseren europäischen Freunden. Und unsere europäischen Freunde bewegen sich in ihrer Bereitschaft zum Kompromiss nicht, weil sie immer noch denken, dass der Brexit im Parlament gestoppt werden kann.“ Für seine Wortwahl wurde wiederum Johnson kritisiert. Für manche klingt da der Vorwurf des Landesverrats mit. Abgeordnete zu Kollaborateuren zu erklären, sei gefährlich, sagte der Tory-Abgeordnete Guto Bebb und wies auf das Schicksal seiner Kollegin Jo Cox hin, die von einem Brexit-Fanatiker ermordet wurde. Auch Parlamentspräsident John Bercow, der gelobt hatte, alles zu tun, um dem Parlament eine Mitsprache zu garantieren, berichtete, hinterher Morddrohungen erhalten zu haben.

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