Großbritannien/EU Meister der Inszenierung

London · Londons Bürgermeister Boris Johnson macht sich für den Ausstieg aus der EU stark. Damit stärkt er nicht nur die Brexit-Befürworter, sondern meldet auch persönlich Ansprüche für höhere Aufgaben an.

 Nach dem Brexit-Erfolg die Ernüchterung: Boris Johnson tritt nicht im Rennen um die Nachfolge von Premier Cameron an.

Nach dem Brexit-Erfolg die Ernüchterung: Boris Johnson tritt nicht im Rennen um die Nachfolge von Premier Cameron an.

Foto: dpa

Boris Johnson weiß, wie man den ganz großen Auftritt absolviert. Kein anderer britischer Politiker inszeniert sich so geschickt wie Londons Bürgermeister. Lediglich ins kollektive Politiker-Getöse einzusteigen und mitzuteilen, dass er einen Austritt des Königreichs aus der Europäischen Union (EU) befürwortet, wäre für den unangepassten Mann mit dem immensen Ego nicht das Richtige gewesen.

Er wollte sichergehen, dass er auf den Titelseiten erscheint und so zögerte der 51-Jährige zwei Tage lang, wenn auch nur scheinbar.

Boris, wie er nur genannt wird, bekam die großen Schlagzeilen: „Auftrieb für Austrittskampagne durch Boris' Brexit-Unterstützung“, hieß es bei „The Times“, „Blondes Gift“, bezeichnete ihn das Boulevardblatt „The Sun“. „Warum Großbritannien Nein sagen sollte“, erklärte Johnson im konservativen „Telegraph“. Er liebe Europa, was aber nicht mit dem EU-Projekt verwechselt werden dürfe, schrieb er. Dieses sei „in Gefahr, außer Kontrolle zu geraten“.

Premierminister David Cameron warf er vor, keine grundlegende Reform durchgesetzt zu haben. Dabei habe ihm die Entscheidung, sich gegen den Regierungschef zu stellen, „eine gehörige Menge Kopfschmerzen“ bereitet, sagte die schillernde Persönlichkeit. Das wiederum nahmen ihm nur wenige Beobachter wirklich ab. Der Kampf der nächsten Monate dürfte lauten: Johnson gegen Cameron.

Der Premier betonte dagegen auch gestern, Großbritannien sei in der EU „sicherer, stärker und wohlhabender“. Grundlage seines Engagements für einen Verbleib sei der „Sonderstatus“ für seine Landsleute, den er am späten Freitagabend mit den übrigen Mitgliedstaaten ausgehandelt hatte. Doch noch bevor der Deal bekannt wurde, trommelten die Austrittsbefürworter bereits laut für den Brexit. Am 23. Juni dürfen die Briten in einem Referendum über die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft abstimmen. Das Land ist in der Frage tief gespalten.

Sofort nach Verkündung des Deals fiel der Name Boris Johnson – wie würde sich der konservative Bürgermeister, der sich wochenlang in der EU-Frage unentschlossen gezeigt hatte, entscheiden? Nach einer Kabinettssitzung am Samstagmorgen wurde klar, dass sich fünf Minister gegen die Regierung stellen und „in privater Funktion“ für den Austritt werben würden.

Alle Augen richteten sich auf Boris Johnson. Der über die Stadtgrenzen hinaus beliebte Politiker wurde als Schlüsselfigur betrachtet, weil er auch bei jungen Menschen ankommt, die mehrheitlich pro-europäisch eingestellt sind. Zudem gehört er zwar wie seine Kollegen dem Establishment an und wurde im Eliteinternat Eton sowie in Oxford ausgebildet, doch er kommt volksnäher herüber. Am Sonntagabend trat Johnson dann vor seine Haustür in Nord-London.

Er wollte den Anschein erwecken, als handele es sich um einen spontanen Auftritt, dabei war es perfekt orchestriert, wie er der wartenden Menge an Reportern und Fotografen endlich verkündete, dass er sich an der Kampagne für einen Austritt Großbritanniens aus der EU beteiligen werde. Und sich damit klar gegen Cameron stellt.

Sollten die Briten in dem Referendum tatsächlich für den Austritt stimmen, wird Cameron seine zweite Amtszeit vorzeitig abbrechen müssen. Potenzielle Nachfolger wie Schatzkanzler George Osborne haben sich auf Camerons Seite gestellt und werden es schwer haben, sich gegen die europakritische Parteibasis durchzusetzen. Johnson scharrt dann bereits mit den Füßen in den Startlöchern.

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