Konflikt zwischen Türken und Kurden Messerattacke bei Mahnwache in Lüdenscheid

Düsseldorf · Der Konflikt zwischen Kurden und Türken spitzt sich hierzulande zu. Bei der Mahnwache für den Frieden in Nordsyrien in Lüdenscheid endete für einen Mann mit einem Messer im Rücken.

 Aufgeladene Stimmung auf deutschen Straßen: Teilnehmer einer Demonstration der Kurden protestieren gegen den Einmarsch türkischer Truppen in syrischen Kurdengebieten.

Aufgeladene Stimmung auf deutschen Straßen: Teilnehmer einer Demonstration der Kurden protestieren gegen den Einmarsch türkischer Truppen in syrischen Kurdengebieten.

Foto: dpa/Axel Heimken

Die Mahnwache für den Frieden in Nordsyrien endet in Lüdenscheid für einen Mann mit einem Messer im Rücken. Der Niedergestochene – ein türkischstämmiger Deutscher – wird am Mittwochabend schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Täter ist bislang nicht gefasst, Mordkommission und Staatsschutz ermitteln.

Die Messerattacke auf den 50-Jährigen zeigt, wie aufgeladen die Stimmung zwischen Kurden und Türken in NRW derzeit ist. Am Rande derselben Veranstaltung, die sich gegen die türkische Offensive im Norden Syriens gegen die dort lebenden Kurden richtet, gab es noch eine Rangelei, bei der zwei Männer leicht verletzt wurden. Eine Person wurde vorläufig festgenommen.

Auch in Bottrop kam es am Mittwochabend zu Tumulten zwischen beiden Lagern. Die Polizei wurde dabei mit Steinen beworfen, als sie eine Gruppe von 150 bis 200 Teilnehmern einer kurdischen Demo und einer etwa gleich großen Gruppe mit türkischem Hintergrund auf Abstand hielt. Fünf Polizisten wurden verletzt. Fünf Personen wurden als Tatverdächtige festgenommen, die Personalien von weiteren elf Männern wurden festgestellt. Unter den Verdächtigen waren mehrere Jugendliche, darunter eine 13-Jährige. „Unsere Kollegen standen mittendrin und hielten sprichwörtlich ihre Köpfe hin“, sagt eine Sprecherin der Polizei.

Erhöhte Alarmbereitschaft der Polizei

Die Polizei in NRW befindet sich in erhöhter Alarmbereitschaft. Der polizeiliche Staatsschutz und der Verfassungsschutz führen aktuell verstärkte Aufklärungsmaßnahmen durch. Die NRW-Polizei geht von weiteren zahlreichen – möglicherweise spontanen und unangemeldeten – Versammlungen aus, heißt es aus dem NRW-Innenministerium. Der Krieg habe innerhalb der kurdischen Community ein großes Emotionalisierungs- und Mobilisierungspotential. Mögliche Straftaten gegen türkische Kulturvereine und Einrichtungen könnten laut Polizei nicht ausgeschlossen werden. Man versuche, die türkischen Institutionen zu schützen.

Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes befinden sich unter den Teilnehmern von Aktionen gegen kurdisch geprägte Versammlungen auch Anhänger der türkischen rechtsextremistischen „Grauen Wölfe“. „Bislang handelte es sich bei den Gegenaktionen um spontane Zusammenkünfte, die weder angemeldet waren noch einen Versammlungsleiter besaßen“, heißt es beim Verfassungsschutz. Die „Grauen Wölfe“, aber auch nationalistische regierungstreue Türken hätten bei diesen Aktionen den sogenannten „Wolfsgruß“ gezeigt, um die Kurden zu provozieren. „Die kurdischen Versammlungsteilnehmer reagieren ihrerseits auf dieses Zeichen hoch emotional. Und die verfeindeten Gruppen tragen ihre Konflikte offen auf der Straße aus“, so die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes.

Der renommierte Politikwissenschaftler und Türkei-Experte an der Internationalen Hochschule (IUBH) in Dortmund, Burak Çopur,warnt vor einer weiteren Eskalation. „Ich habe große Befürchtung, dass sich der Konflikt zwischen Kurden und Türken auf den deutschen Straßen weiter zuspitzen wird“, sagte Çopur unserer Redaktion. Vieles werde von der weiteren Entwicklung des Krieges in Nordsyrien abhängen. „Meist reicht ein Funke aus, um dieKonflikte weiter anzuheizen“, so Çopur.

Stimmen des Friedens gefragt

Jetzt seien dringend Stimmen des Friedens und der Versöhnung aus der türkischen und kurdischen Community gefragt, sagte der Forscher. „Es wäre eine wichtige politische Geste, wenn der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschlands, Gökay Sofuglu, mit dem Vorsitzenden der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Ali Ertan Toprak, öffentlich zusammenfinden und ein deutliches Zeichen der Versöhnung setzen und zur Beendigung des Krieges aufrufen“, sagte Çopur.

Er sieht aber auch die deutsche Regierung in der Pflicht: „Der Konflikt ist auch ein deutscher Konflikt.“ Deutschland habe der Türkei allein in diesem Jahr Rüstungsgüter im Wert von 250 Millionen Euro verkauft, die Türkei sei größter Abnehmer deutscher Rüstungsgüter. „Wir sollten als Deutsche nicht immer mit dem erhobenen Zeigefinger auf andere zeigen, sondern uns auch einmal an die eigene Nase fassen“, so Çopur.

Cahit Basar von der kurdischen Gemeinde in Deutschland sieht im türkischen Staatsfernsehen, das hierzulande zu empfangen ist, einen Grund für die aufgeladenen Stimmung auf den Straßen in NRW. „Da wird gegen die Kurden gehetzt und Kriegspropaganda gezeigt. Das stachelt die Türken in Deutschland auf“, kritisierte er. Basar verwies zudem auf den eigentlich immer friedlichen Charakter kurdischer Demonstrationen. „Das sind Familienfeste, wo man mit Kinderwagen hinkommt“, sagt er. Gleichwohl sei die Stimmung vieler Kurden derzeit emotional aufgeladen, sagte Basar: „Die Gemüter sind erhitzt.“ Am Samstag gibt es in Köln eine große Demonstration gegen den Krieg in Nordsyrien. Angemeldet sind bislang 14.000 Teilnehmer, laut Experten könnten aber auch doppelt so viele kommen. Darüber hinaus sind in NRW weitere kleinere Kurden-Demos angemeldet worden.

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