Kommentar zum Misstrauensvotum in London Nichts hat sich verändert

Meinung | London · Die britische Premierministerin Theresa May hat das Misstrauensvotum im Parlament überstanden. Doch ihr Sieg ist dennoch schmerzhaft, denn die Brexit-Rebellen machen sie so gut wie handlungsunfähig, meint unsere Autorin.

Theresa May mag das Misstrauensvotum gewonnen haben, mit dem die Brexit-Hardliner in der konservativen Fraktion die Premierministerin absetzen wollten. Doch angesichts ihrer ohnehin nur knappen Mehrheit im Parlament ist das Ergebnis ein schmerzhafter Sieg. 117 Abgeordnete wollten die Regierungschefin stürzen. Das sind 37 Prozent der Fraktion, mehr als ein Drittel.

Wie will May den mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal in naher Zukunft durchsetzen? Wie will sie jegliches Vorhaben durchs Parlament bekommen? Die Rebellen dürften in den nächsten Wochen noch lauter werden, May dagegen ist so gut wie handlungsunfähig - eine lahme Ente in einem stählernen Machtgehäuse. Denn ein Jahr lang ist sie nun unangreifbar, kann zumindest von ihrer eigenen Fraktion nicht mehr herausgefordert werden. Und dass sie freiwillig geht, scheint ausgeschlossen. Unverwüstlich und stur trotzt Konservative seit der verpatzten Wahl 2017 allen Angriffen auf ihre Position, Politik und Person. Dabei hat sie sich mittlerweile etliche Fehler geleistet und damit ihre Fraktion gegen sich aufgebracht, zuletzt am vergangenen Montag, als sie die Abstimmung über das Austrittsabkommen aus Sorge vor einer krachenden Niederlage kurzerhand absagte. Das Problem: Sie lieferte keinen Plan B. Große Teile der Partei schäumten zurecht vor Wut.

Nun musste Theresa May den Parteikollegen im Vorfeld des Votums versprechen, in ferner Zukunft zu gehen, um für heute bleiben zu können. Bei den nächsten Wahlen wird sie nicht mehr an der Parteispitze stehen. Dass diese erst im Jahr 2022 stattfinden werden, wirkt angesichts der politischen Krise in Westminster beinahe ausgeschlossen.

Was derzeit auf der Insel passiert, geht als kollektives Scheitern der politischen Klasse in die Geschichte ein. Und daran hat die Regierungschefin einen großen Anteil. Unentschlossen und ungelenk schlingerte sie durch ihre Amtszeit, die von Beginn an vom Brexit geprägt sein sollte. May verpasste es aber nicht nur, ihre zerstrittene Partei sowie die tief gespaltene Bevölkerung zu einen. Als die Regierungschefin Verbündete brauchte, um das umstrittene Austrittsabkommen durchzusetzen, rächten sich auch ihre ständigen Alleingänge und Kommunikationsdesaster. Aber es ist kaum anzunehmen, dass sie ihren Stil ändert.

Bei der kurzen Rede nach dem gewonnenen Misstrauensvotum am Mittwochabend sagte sie beinahe wortgleich dasselbe wie bei ihrem Statement am Morgen und ihre Slogans ähnelten erschreckend jenen, die sie seit der Amtsübernahme gebetsmühlenhaft herunterspult. Theresa May mag das Misstrauensvotum gewonnen haben. Aber ihre Probleme bleiben und auch die Situation hat sich keineswegs entspannt. Bis spätestens zum 21. Januar muss die Premierministerin den Showdown wagen und das Parlament über das zwischen London und Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen abstimmen lassen. Um sich da durchzusetzen, benötigt May nach heutigem Stand neues politisches Geschick – oder ein Wunder.

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