Nach den Terroranschlägen in Frankreich Notstand ohne Ende

Paris · In einem Klima der Gereiztheit stimmte die Nationalversammlung für eine neuerliche Verlängerung des Ausnahmezustandes um sechs Monate. Mit der Entscheidung reagierten sie auf das Attentat von Nizza am 14. Juli.

 Soldaten sichern das Areal rund um den Eiffelturm, das Wahrzeichen der französischen Hauptstadt.

Soldaten sichern das Areal rund um den Eiffelturm, das Wahrzeichen der französischen Hauptstadt.

Foto: dpa

Die Zahlen täuschen eine Einigkeit nur vor: 489 Abgeordnete der französischen Nationalversammlung haben am frühen Mittwochmorgen für die Verlängerung des Ausnahmezustandes um weitere sechs Monate gestimmt. Nur 26 votierten dagegen, vier enthielten sich.

Mit der Entscheidung reagieren sie auf das Attentat von Nizza am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, bei dem 84 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt worden waren. Unter anderem sieht das Gesetz die Möglichkeit von Wohnungsdurchsuchungen ohne richterliche Zustimmung sowie die Auswertung von Computer- und Telefondaten vor. Die Regierung wollte eigentlich nur eine Verlängerung um drei Monate, gab unter dem Druck der rechten Opposition aber nach.

Menschenrechtsorganisationen haben die Bestimmung als wenig zielführend, aber die Freiheit einschränkend kritisiert. Unmittelbar vor dem Attentat in Nizza hatte Präsident François Hollande angekündigt, den Ausnahmezustand nach dem 26. Juli, zwei Tage nach dem Ende der Tour de France, zu beenden. Gegolten hatte er seit den Pariser Terroranschlägen vom 13. November. Die Tragödie von Nizza aber änderte die Lage – und vor allem die Stimmung. Sie ist aufgeheizt, gereizt, aggressiv.

Der Abstimmung gingen heftige Wortgefechte voraus, bei denen die Opposition der Regierung schwere Versäumnisse im Anti-Terror-Kampf vorwarf. Demgegenüber weisen Experten darauf hin, dass es sich beim Attentäter Mohamed Lahouaiej Boulhel um einen „neuen Terroristen-Typ“ gehandelt habe: Der 31-jährige Tunesier, der seit 2007 in Nizza gelebt hatte, war kein praktizierender Muslim und nicht wegen religiöser Radikalisierung aktenkundig.

Verbindungen zu Terrorgruppen wurden noch nicht nachgewiesen, obwohl der sogenannte „Islamische Staat“ sich zu dem Anschlag bekannt hat. „Es ist extrem schwierig, die Vorbereitung eines solchen Anschlags zu entdecken“, erklärte Innenminister Bernard Cazeneuve. „Diejenigen, die ein Nullrisiko versprechen, belügen die Franzosen.“

Dennoch wetterte Eric Ciotti, konservativer Abgeordnete aus der südfranzösischen Region Alpes-Maritimes, zu der Nizza gehört, gegen die Regierenden: „Ihnen ist es nicht gelungen, die Franzosen zu beschützen“, so Ciotti, der Ex-Präsident Nicolas Sarkozy nahesteht. „Das Vertrauen ist unumkehrbar zerbrochen.“ Scharfe Worte, die zeigten, dass die Warnungen von Premierminister Manuel Valls vor einer „Trumpisierung“ der politischen Debatte in Frankreich nicht fruchteten. Und dass Staatschef Hollande die politische Klasse umsonst zur Einheit aufrief.

Sie befindet sich im Wahlkampf, auch wenn die Präsidentschaftswahl erst in knapp zehn Monaten stattfindet. Und Politiker beider Seiten schenken ihrem Gegner nichts. So kritisierte Christian Estrosi, bis vor Kurzem erster und derzeit zweiter Bürgermeister von Nizza und Präsident des Regionalrates, von Anfang an die zu geringe Polizeipräsenz am 14. Juli – dabei war das Rathaus mitverantwortlich für die Organisation der Feier, die Zehntausende anzog. Oppositionschef Nicolas Sarkozy beklagte den Rückgang von Polizei- und Gendarmerieposten – obwohl er in seiner Amtszeit 13.000 Stellen eingekürzt hatte.

Auch forderte den präventiven Wegschluss von Terrorverdächtigen – was der Rechtsstaat nicht erlaubt. Der rechtsextreme Bürgermeister des nordfranzösischen Städtchens Hénin-Beaumont wies arauf hin, dass „der Laxismus uns tötet“: Der Attentäter von Nizza sei schließlich verurteilt gewesen. Doch ging es damals um eine gewalttätige Aktion in einem Verkehrsstreit. Wozu der Mann fähig war, ließ sich daraus kaum ableiten.

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