Erzwungene Ryanair-Landung Oppositionellem droht in Belarus das Todesurteil

Moskau · Mit einer Bombenfalschmeldung zwingen Alexander Lukaschenkos Behörden eine Passagiermaschine zur Landung in Minsk, ein an Bord befindlicher Oppositioneller wird festgenommen. Vorher wurde die Jagd auf alle Regimegegner angekündigt.

 Das Ryanair-Flugzeug in Minsk. Die Karte zeigt seine Flugroute.

Das Ryanair-Flugzeug in Minsk. Die Karte zeigt seine Flugroute.

Foto: dpa/Grafik

Der Kapitän der Ryanair-Maschine gab nur bekannt, man sei gezwungen in Minsk zu landen, Einzelheiten teile er später mit. Aber einer der 123 Fluggäste scheint die Gründe sofort geahnt zu haben. Wie Mitreisende erzählten, fasste der junge Mann sich an den Kopf, dann holte er sein Notebook hervor, übergab es seiner Begleiterin. „Er machte einen extrem verängstigten Eindruck“, erzählte eine Passagierin der Agentur Reuters. Anderen erklärte er: „Mir droht hier das Todesurteil“.

Am Sonntag wurde der weißrussische Oppositionsblogger Roman Protasewitsch auf dem Flug von Athen nach London bei einer außerplanmäßigen Zwischenlandung in Minsk festgenommen. Ebenso seine russische Freundin Sofia Sapega. Protasewitsch, 25, hatte als Chefredakteur des aus Warschau arbeitenden Telegram-Kanals Nexta vergangenes Jahr die Massenproteste gegen Staatschef Alexander Lukaschenko mit koordiniert, gegen ihn laufen Strafverfahren wegen der Organisation von Massenunruhen und des Schürens sozialen Hasses gegen Behördenvertreter. Und ihm drohen 15 Jahre Gefängnis. Oder gar das Todesurteil, da der weißrussische KGB ihn auf einer Liste mutmaßlicher Terroristen führt.

Nach Angaben von Ryanair hatten belarussische Fluglotsen die Besatzung vor einer Bombe an Bord gewarnt, als sie den weißrussischen Luftraum überquerte, und zur Landung auf dem nächsten Flughafen, Minsk, aufgefordert. Eine Falschmeldung. Der Lukaschenko-nahe Telegram-Kanal Pul Perwogo vermutet, westliche Quellen hätten sich die Bombenwarnung ausgedacht, um „überflüssigen Ballast“, also den „Extremisten“ Protasewitsch, loszuwerden. Und auf Befehl des Präsidenten habe ein MiG-29-Kampfbomber die Ryainair-Maschine nach Minsk eskortiert.

Unklar bleibt, warum die Boeing 737, die laut dem Portal Flightradar dem Zielflughafen Vilnius schon deutlich näher war, doch nach Minsk abdrehte. Der Moskauer Luftfahrtexperte Wadim Lukaschewitsch argwöhnt auf Facebook, sie hätte zwei Flugminuten von der litauischen Grenze nur beigedreht, weil die MiG-29 ihr mit Abschuss drohte.

Nach der Landung in Minsk verschickte Protassewitsch noch mehrere Textmeldungen, er sei auf dem Athener Flughafen von einem durchtrainierten Mann mit Glatze beschattet worden, der versuchte, seine Dokumente zu fotografieren.

Swetlana Tichanowskaja, die Exilführerin der weißrussischen Opposition, verglich Lukaschenkos Sicherheitsorgane mit „somalischen Piraten“, die EU beriet auf ihrem Gipfel Strafmaßnahmen (siehe Text unten auf dieser Seite), Politiker mehrerer Länder forderten vorher eine Schließung des europäischen Luftraums für Belarus. Dagegen sagte Russlands Außenminister Sergei Lawrow, man müsse den Vorfall ohne „Hitze und Hast“ bewerten, auf der Grundlage aller Fakten.

Dazu mag allerdings auch der Auftritt von Nikolai Karpenkow gehören. Ende April erklärte der stellvertretende Innenminister von Belarus im Staatsfernsehen, die weißrussische Opposition gleiche immer mehr tollwütigen Hunden. „Wo sie sich auch aufhalten, wir finden sie und merzen sie aus, ohne jede Verjährungsfrist.“

Alle Oppositionsführer, auch hunderte Aktivisten, sind im Exil, sehr viele in Polen und in Litauen. Allerdings bezweifelt der Minsker Politologe Andrei Kasakewitsch gegenüber unserer Zeitung, dass das Potenzial und Know-how der weißrussischen Geheimdienste ausreichen, um auf sie alle Jagd zu machen. „Sie mögen ein, zwei Vorzeigeerfolge hinbekommen, nicht mehr.“ In Belarus selbst aber werde der Raum für alternative Meinungen immer enger. „Erst durfte man nicht mehr protestieren, dann keine Oppositionssymbolik mehr zeigen, jetzt kann man seine Ansicht nicht mehr öffentlich äußern. Die Staatsmacht versucht, das gesellschaftliche Leben völlig unter ihre Kontrolle zu bringen.“

Nach Angaben von Menschenrechtlern gibt es schon mehr als 400 politische Häftlinge. Der zu fünf Jahren verurteilte Oppositionelle Witold Aschurok teilte kürzlich in einem Brief mit, in seiner Strafkolonie nähe man den politischen Gefangenen gelbe Streifen auf die Jacken. Wenige Tage später war Aschurok tot, nach Angaben der Vollzugsbehörden erlag er einem Herzanfall…

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