Millionenmetropole Paris soll lebenswerter werden

Paris · Die Millionenmetropole soll für ihre Einwohner wieder lebenswerter werden. Dazu will Bürgermeisterin Anne Hidalgo vor allem die Autos aus dem Zentrum verbannen und den Nahverkehr ausbauen. Zieltermin ist das Olympiajahr 2024.

 Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo (unten rechts) hat sich viel vorgenommen: Die Autos sollen aus der Pariser Innenstadt verdrängt werden. Dafür muss unter anderem der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden, der vor allem zu den Stoßzeiten überlastet ist.

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo (unten rechts) hat sich viel vorgenommen: Die Autos sollen aus der Pariser Innenstadt verdrängt werden. Dafür muss unter anderem der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden, der vor allem zu den Stoßzeiten überlastet ist.

Foto: dpa

Paris erstickt im Verkehr. Jeden Tag schieben sich kilometerlange Autoschlangen durch die Metropole an der Seine, machen Lärm und verpesten die Luft. Anne Hidalgo will sich das nicht mehr länger ansehen. Die Bürgermeisterin hat einen Entschluss gefasst, den sie ziemlich rigoros umsetzt: Sie will die Autos aus der Innenstadt drängen und Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor bis 2030 völlig aus der Stadt verbannen. Fast alle ihre Vorgänger haben den täglichen Verkehrsinfarkt und die damit zusammenhängende Luftverschmutzung als eines der zentralen Probleme erkannt, doch keiner hat sich mit solch einer Vehemenz auf das Thema gestürzt wie die 60-Jährige - was auch damit zu tun haben mag, dass sie im kommenden Jahr wiedergewählt werden will. Ihr Kalkül: Nicht einmal mehr 40 Prozent der im Stadtzentrum wohnenden Pariser - also ihrer Wähler - haben privat ein Auto. Die Straßen werden vor allem von den Pendlern verstopft, die jeden Tag aus dem Großraum Île-de-France in die Innenstadt drängen.

Jedes Auto benötigt eine Umweltplakette

Anne Hidalgo betont immer wieder, dass sie keine "Feindin" des Autos oder des Individualverkehrs sei, sondern lediglich für bessere Luft und mehr Lebensqualität in der Stadt kämpfe. Diesen Weg geht sie konsequent. So muss inzwischen etwa jedes Auto in der Innenstadt eine Umweltplakette an der Windschutzscheibe kleben haben. Mit dieser farbigen Vignette namens "Crit'Air" wird die Schadstoffklasse des Fahrzeugs angezeigt. Diesel-Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, die vor dem 1. Januar 1997 zugelassen wurden, sind bereits vom Stadtverkehr ausgeschlossen. Ebenso alle Busse und Lastwagen, die älter als 14 Jahre sind. Die Kriterien sollen allmählich verschärft werden, gleichzeitig werden Parkplätze gezielt rar und teuer gemacht.

Hidalgo will aber nicht nur den Verkehr zurückdrängen, sondern auch Flächen für die Menschen zurückgewinnen. Vorbei sind die Zeiten, in denen der damalige Premierminister Georges Pompidou erklärte: "Die Stadt muss sich dem Auto anpassen". Historische Bilder zeigen den Autonarren am Steuer seines Porsche, wie er, eine Zigarette locker im Mundwinkel, über die vielspurigen Straßen von Paris braust. Da wirkt es fast wie ein Racheakt der aktuellen Bürgermeisterin, dass sie ausgerechnet einen Teil der Voie Georges Pompidou zwischen dem Tunnel der Tuilerien und dem Bassin de l'Arsenal für den Verkehr sperren ließ, um die Asphaltpiste den Fußgängern und Radfahrern zurückzugeben. Inzwischen musste allerdings zumindest eine Hälfte der Straße wieder geöffnet werden, ein Gericht befand das Hoppla-Hopp-Vorgehen dann doch als etwas zu unkonventionell.

"Grand Paris Express" als wichtiger Baustein

In diesem Fall orientierte sich Hidalgo an ihremVorgänger Bertrand Delanoë. Der legendäre Sozialist hatte sich über zehn Jahre lang mit großer Verve für die Verringerung der Luftverschmutzung und die Reduzierung des Autoverkehrs in der Metropole eingesetzt - und dafür auch manch überaus umstrittene Entscheidung getroffen. So wurde etwa unter seiner Ägide 2013 ein mehr als zwei Kilometer langer, vielbefahrener Straßenabschnitt auf dem linken Seine-Ufer, von der Pont Royal bis zur Pont de l'Alma, in eine Fußgängerzone umgewandelt. Das Geschrei war groß, aber die Autofahrer gewöhnten sich schnell an die Veränderungen, das vielbeschworene Verkehrschaos blieb aus.

Den Verkehr aus der Stadt zu verbannen, heißt zwangsläufig aber auch, den Nahverkehr auszubauen. Der ist im Moment in den Stoßzeiten hoffnungslos überlastet, zudem ist es schwierig, aus manchen Vororten ins Stadtzentrum zu gelangen.

Das alles soll sich in den nächsten Jahren ändern. Entscheidende Erleichterung soll der "Grand Paris Express" (GPE) bringen - ein Milliardenprojekt. Vereinfacht gesagt, ist der GPE eine Ringbahn um Paris, die die Stadt im Abstand von zehn Kilometern umrundet und von der vier neue Métro-Linien in die Innenstadt abzweigen werden. Insgesamt sind 200 Kilometer neue Strecke im Bau, angeschlossen werden 68 Bahnhöfe. An diesen Knotenpunkten soll auch städtebaulich nachgearbeitet werden, 70.000 neue Wohnungen sollen dort entstehen inklusive einer neuen Infrastruktur für die Bewohner.

Der Ärger ist bei solch einem Mammutprojekt allerdings programmiert. 2017 wurde das Projekt nach rund sechs Jahren Bauzeit kurzzeitig gestoppt. Der Grund: die Explosion der Kosten von 25 Milliarden Euro auf geschätzte 35 Milliarden. Dann zeigte sich, dass der geplante Zeitrahmen nicht eingehalten werden und die zentralen Arbeiten erst deutlich nach den Olympischen Spielen in Paris im Jahr 2024 fertig werden. Angepeilter Eröffnungstermin ist nun 2030.

Die Olympischen Spiele sind für Anne Hidalgo inzwischen zu einem zentralen Termin bei ihrer Planung geworden. Sie sind ein Hebel, um für Projekte Geld locker zu machen und Kritiker zeitlich unter Druck zu setzen. "Die Olympischen Spiele werden ökologische Spiele sein und wir werden den umweltgerechten Umbau der Infrastruktur vorantreiben", erklärt sie. Das betreffe die Radwege in der Stadt, den Autoverkehr, den öffentlichen Nahverkehr und auch die Ausweitung der Grünflächen.

Kritiker sprechen von Hyperaktivismus

In diesem Rahmen will sie auch das gesamte Gelände rund um den Eiffelturm in eine begrünte Zone verwandeln, einen 54 Hektar großen Park, in dem die Besucher nicht mehr den Lärm des Verkehrs, sondern "das Singen der Vögel hören sollen", verspricht Hidalgo und weiß, dass das kein verkehrstechnisches Nullsummenspiel wird. Die Autos müssen weichen. Die zwischen Trocadéro und Eiffelturm liegende Pont d'Iéna soll begrünt und für den Verkehr gesperrt werden. Weiter ist geplant, die vielbefahrene Uferstraße auf der Seite des Eiffelturms von vier auf zwei Straßen zu verengen - zudem soll dort nur noch Tempo 20 erlaubt sein. Geschätzte Kosten: 72 Millionen Euro. Geplante Eröffnung: kurz vor den Olympischen Spielen.

Die Kritiker von Anne Hidalgo werfen der Bürgermeisterin inzwischen eine Art verkehrstechnischen Hyperaktivismus vor - können aber nichts dagegen einwenden, wenn sie die Stadt für ihre stau-, smog- und lärmgeplagten Bewohner lebenswerter machen will. Die Wähler scheinen es ihr zu danken. In Umfragen steigt die Beliebtheit der tatkräftigen Bürgermeisterin stetig an.

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